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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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hast ihn net vergessen, du net und deine Tochter net, auch wenn sie ihn net kannte. Ich seh’s ihr an. Das feine Wesen, die schwarzen Locken, die klaren Augen, die dunkle Haut.«
    Seine Stimme wurde leise, als wollte er die Worte vor ungebetenen Zuhörern verbergen. Er beugte sich vor und flüsterte Isabel ins Ohr.
    »Ich weiß, sie ist eine von den Tremplers!«
    Die Blätter vor dem Fenster zitterten und tanzten, es war, als durchwehten Geister das Gestrüpp.
    Erzähl, bevor es zu spät wird, erzähl’s ihm, dachte Isabel. Und so sprach sie, bis es dunkel geworden war in der Werkstatt und der Mond hinter den tanzenden Büschen aufging. Vom Hamburger Hafen, von der kurzen Liebe, von Lea und ihren Schlafwandeleien. Und von dem kleinen Hund mit den verstümmelten Ohren, der ihnen vor das Auto gelaufen war.
    Kein einziges Mal hatte Fertl sie angeschaut, während sie erzählte, immer zerbrechlicher hatte er auf seinem Schemel ausgesehen, so, als würde sich die Geschichte auf seinen Schultern niederlassen, schwer und bleiern.
    Als alles erzählt und nichts mehr hinzuzufügen war, erhob sie sich. »Ich dank dir, dass du so mit mir gesprochen hast, Fertl. Ich gehe jetzt. Tut mir leid, mit der Karte, ich wollte das so nicht. Aber bitte versteh mich.«
    Doch Fertl blickte nur stumm vor sich hin. Als Isabel die Tür öffnete, sagte er leise, so leise, dass sie es fast nicht verstehen konnte:
    »Hör auf zu suchen, wie all die anderen auch, die ein Teil von ihm sind oder waren, weil sie ihn vermissen. Die Suche macht wahnsinnig, weil sie vergebens ist. Denn der Trempler, der holt sie alle zurück, die zu ihm gehören. Und er gibt sie nimmer her.«
    Als Isabel vor die Tür trat, war es spät, aber nicht zu spät, denn es brannte noch Licht in Fuchsbichls Häusern.
     
    Welch unheimliche Macht war hier am Werk, welch unvorstellbare Verknüpfung von Zufällen, beginnend mit der Bezauberung, die nicht größer hätte sein können, als sie damals in der Hafenkneipe war. Die Zufälle setzten sich fort mit dem Bildnis eines Berges, das hinterlassen worden war. Und welch Faszination hatte dies ausgeübt! Eine so mächtige, dass es Leas Gedanken beschäftigte und sie Nacht für Nacht umherirren ließ, mit sehnsuchtsvollen und traurigen Blicken. Und nun schien es, als wäre das Kind wie eine Marionette, an unsichtbaren Fäden baumelnd, hierher gezogen worden, zum Tremplerhof am Himmelsspitz.
    Isabel war übel. Gehetzten Schrittes ging sie durch die menschenleeren Gassen, als säßen die Geister auch ihr im Nacken und raunten: »Bedenke, bedenke und frage dich, gibt es solche Zufälle, oder sind nicht wir am Werke?« Sie blieb kurz stehen, blickte in den sternenklaren Himmel und schüttelte sich, als wollte sie die geheimnisvolle Mystik von sich streifen, die sie in Fertls Werkstatt umhüllt hatte. Nein, es gibt keine Geister! Doch nicht hier, inmitten jenes Ortes, den die Zukunft so fest im Griff zu haben schien, mit all den modernen Hotels, Tanzcafés und Liftanlagen. Nicht hier.
    Doch dann drängten sich ihr wieder die Bilder der unglaublichen Schicksalsfügungen auf, die keine sein konnten. Tobis Hund, der just in jener Sekunde die Straße überquert hatte, als sie des Weges kamen. Als hinge selbst das kleine Tier an den Fäden der Geister von dort droben.
    Fort von hier, so schnell wie möglich, fort von den Zufällen und Erinnerungen, die sich oben im Tremplerhof zu vereinen schienen!
    Gleich wenn sie ins Hotel zurückgekehrt sein würde, müsste sie es Horst sagen. Auch wenn er einige Fragen zu stellen hatte, unter anderem auch jene nach Isabels Verbleib bis zu so später Stunde. Sie würde darauf keine Antwort geben, denn er könnte es nicht verstehen. Stattdessen würde sie ihm mitteilen, sie wolle sofort nach dem morgigen Frühstück die Koffer packen und zurück nach Hamburg fahren.
    Eines jedoch musste Isabel noch wissen, bevor sie Fuchsbichl verließen: Wie sah sie aus, die erste große Liebe von Julius, die Mutter von Leas Bruder?
    Leise näherte sie sich dem großen Hof. In zwei seiner Fenster brannte Licht. Hinter dem Ersten sah Isabel die Küche. Dort saß ein Mann am Tisch, den sie schon öfters im Ort gesehen hatte. Er war eingeschlafen.
    Isabel schlich weiter, hinüber zum anderen Fenster. Es war weit geöffnet. Durch die Blumen, die in den Kästen davor hingen, sah sie die Frau, wie sie vor Marias Bildnis kniete, mit zotteligem Haar, kaum älter als Isabel und doch so verblüht und grau. Eine schöne Frau muss sie

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