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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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einst gewesen sein, dachte Isabel mit klopfendem Herz, berührt und gefesselt von diesem Anblick. Auf einmal begann die Betende unruhig zu werden, ihre Blicke wanderten hin und her, sie bekreuzigte sich mehrmals und wisperte: »Jetzt sind’s da, Muttergottes, jetzt kommen’s und bringen mich ins Spital. Bitt für uns, auf dass wir uns wiedersehn, alle miteinander. Alle, die a Lieb im Herzen tragen.«
    Langsam und geduckt kroch Isabel rückwärts, bis sie meinte, die Dunkelheit habe sie geschluckt, dann lief sie, so schnell sie konnte, zurück zum Hotel.
    Horst saß unten in der Lobby, trank ein Glas Wein und las Zeitung.
    »Ah, das freut mich aber sehr, dass ich dich heute auch noch zu Gesicht bekomme«, raunte er. »Wo warst du denn die ganze Zeit?« Seine bösen Blicke musterten sie von oben bis unten. »Wie siehst du denn aus? Sägemehl an deinem Rock! Warst sicher wieder bei dem Tischler?«
    Isabel nickte. »Er hat mir von früher erzählt, wie es hier im Ort ausgesehen hatte«, log sie.
    »Isabel, so geht das aber nicht. Lässt mich hier den ganzen Tag allein sitzen. Darf ich dich außerdem noch daran erinnern, dass du ein Kind hast? Fräulein Lea!«
    Immer wenn Horst Fräulein Lea in den Mund nahm, wusste Isabel, es würden Beschwerden über das Kind folgen. Und so kam es auch.
    Der Urlaub hier in den Bergen habe keinerlei Besserung bei Lea bewirken können. Das Fräulein wandele nachts genauso umher wie zu Hause, es sei überdies noch verschlossener geworden, zumindest ihm gegenüber, es würde sich, wie Mutter Isabel, dauernd im Ort herumtreiben, und …
    »Horst, lass uns morgen zurückfahren«, unterbrach ihn Isabel plötzlich.
    Er sah sie mit erstaunten Augen an.
    »Wie bitte? Habe ich richtig vernommen? Du willst vorzeitig zurück? Woher der plötzliche Wandel?«
    »Ich fühle mich nicht wohl. Außerdem ist das Wetter nicht gerade einladend. Findest du nicht?«
    »Darf ich dich daran erinnern, dass ich von Anfang an gegen diesen Urlaub war und ans Meer fahren wollte? Aber nein, Fräulein Lea sollte ja am Himmelsspitz genesen, am Ende der Welt. Aberwitzig, sinn-und nutzlos war diese Idee.«
    Geräuschvoll faltete er die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch.
    »Gut, meine Beste, wie du wünschst. Morgen früh packen wir die Koffer und steigen in den Kapitän.«
    »Lieb von dir«, sagte Isabel und küsste ihm die Wange. »Es ist spät, ich gehe schlafen, kommst du auch?«
    Horst nickte. »Ich bleibe nur noch auf einen kurzen Drink.«
    Eilig lief sie die Treppen hoch. Leas Zimmertür war angelehnt, Isabel schlich hinein. Das Kind schlief. Auf der Bettdecke waren allerlei Erinnerungsstücke an den Himmelsspitz verteilt: unterschiedliche Steine, kleine Moospolster und ein paar bizarr geformte Äste. Auf dem Nachttisch lag Fuchsbichls kleine Welt, wie Lea sie sah, mit ihren Bewohnern, Menschen und Tieren. Isabel setzte sich an den Bettrand und streichelte ihrem Kind über das Gesicht. Dann sammelte sie all die kleinen Naturschätze vom Bett und legte sie leise auf den Tisch. Die Kleine, sie fühlt sich hier so wohl, als ahnte sie, dass ein Teil ihrer Wurzeln hier begründet liegt, dachte Isabel.
    Sie küsste Lea auf die Stirn. »Schlaf gut, meine Kleine.«
    Dann ging sie in ihr Zimmer, wo sie die Balkontür öffnete. Kühler Nachthauch umströmte sie. Isabel lehnte sich an die Brüstung und ließ ihre Gedanken in der funkelnden Nacht versinken.
    Morgen werden wir im Wagen sitzen, nach Hause fahren. Im Gepäck werden Erinnerungen liegen, Steine, Moos, Äste und Bilder, solche einer kleinen, geheimnisvollen Welt.
    Lange stand Isabel so da, bis ihr kühl wurde. Sie schloss die Balkontür und kleidete sich aus. Sie streifte das Seidenhemd über und kämmte sich die Haare. Sie sprühte ein wenig Eau de Savage auf den Nacken und legte sich in die weichen Federn. Normalität sollte wieder Einzug halten, beginnend mit all den Liebkosungen, die Horst brauchte, um glücklich zu sein.
    Als sie die Augen schloss, kam er ins Zimmer. Isabel hörte das Rascheln seiner Kleidung, dann spürte sie, wie er zu ihr kam. Sie öffnete Arme, Mund und Beine. Alles sollte wieder werden wie vorher, vor ihrer Fahrt zum Himmelsspitz.
    Während Isabel die Erinnerung mit Umschlingungen zu vertreiben versuchte, kletterte Luis den Baumstamm hoch, der neben ihrem Balkon stand. Er schlich die Brüstung entlang, wandte seinen großen Kopf kurz zu den sich Paarenden. Dann nahm er einen großen Satz und sprang hinüber auf Leas Balkon.

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