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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Oberbuchsiten im Kanton Solothurn, der vierundvierzig Jahre zuvor nach London gekommen war, sich von da an zwecks besserer Verständlichkeit Durs Egg genannt und es als der beste Büchsenmacher Englands zu Berühmtheit gebracht hatte. Seine Waffen trugen das Markenzeichen«Gun Maker of His Royal Highness», und er stattete die Kavallerie mit Karabinern und die Aristokratie mit Duellpistolen aus. Über die Jahrzehnte war er zu beträchtlichem Vermögen gelangt, das er in verschiedenste Firmen und Liegenschaften investierte. Durs Egg war ein arrivierter Geschäftsmann, seit fünfunddreißig Jahren mit einer ehrenwerten Kaufmannstochter verheiratet und britischer Staatsbürger, darüber hinaus siebenfacher Vater, persönlich bekannt mit König Georg III. und dem Prinzen von Wales und ein würdiger Gentleman von siebenundsechzig Jahren – aber als ihm John Pauly in anheimelndem Schweizerdeutsch die Zeichnungen seines Fliegenden Fisches erläuterte, fing er Feuer wie ein Jüngling.
    Durs Egg stellte viel Geld zur Verfügung – zehntausend Pfund laut eigenen Angaben, fünftausend Pfund gemäß Pauly -, und schon ein halbes Jahr später, am 25. April 1815, erteilte König Georg III. den zwei Schweizern die Lizenz, eine«areostatische Maschine in der Form eines Fischs oder Vogels zu bauen»und diese binnen sechs Monaten in die Luft steigen zu lassen.
    Endlich schien Paulys großes Lebensziel in Erfüllung zu gehen. Als Erstes bestellte er seinen Pariser Ballonbauer Aimé Bollé nach London, damit dieser ihm einen neuen Fliegenden Fisch baute, und Durs Egg ließ in der Nähe des Hyde Parks einen dreißig Meter langen Schuppen errichten, dessen Tore vom Boden bis unters Dach reichten – vermutlich der erste Hangar in der Geschichte der Luftfahrt. Ein Heer von Näherinnen wurde engagiert, welche die äußere, fischförmige Hülle des Luftschiffs, die mit Wasserstoffgas gefüllt werden sollte, in siebenfachen Schichten aus dem getrockneten Gedärm von siebzigtausend Ochsen zusammennähte, und dann einen zweiten, kugelförmigen Ballon, der im Innern des Fisches für den Druckausgleich sorgen sollte. Die zehn Meter lange Heckflosse, die als Steuerruder diente, bestand aus Seide und Walfischbein, ebenso die Seitenruder links und rechts. Was den Antrieb betraf, so hatte Pauly aus seinen Pariser Flügen gelernt, dass Muskelkraft allein nicht ausreichte. Neu in seine Pläne hatte er eine Dampfmaschine aufgenommen – eine möglichst leichte.
    Am 16. August 1816 meldete der Londoner Observer , dass der«Flying Dolphin»beinahe fertiggestellt sei und bald den regelmäßigen Luftverkehr nach Paris mit jeweils fünfzehn bis zwanzig Passagieren aufnehmen werde. Das Fluggerät war Stadtgespräch und zog Heerscharen von Schaulustigen an, die einen Guinea zahlten für das Recht, einen Blick ins Innere des Hangars werfen und als Zuschauer beim Jungfernflug dabei sein zu dürfen. Als Madame Tussauds wanderndes Wachsfigurenkabinett in Manchester gastierte, hing über dem Eingang ein maßstabgetreues Modell des Fliegenden Delphins. Durs Egg und John Pauly verkündeten, dass sie beim Jungfernflug,«falls ruhiges Wetter herrscht, den fischförmigen Ballon in kreisförmigem Rundflug um London herumsteuern»würden; bei starkem Wind hingegen würden sie einen anderen Kurs fahren – aber ebenfalls zum Startplatz zurückkehren.
    Leider fand der Jungfernflug nie statt. Welcher Art die Schwierigkeiten waren, mit denen die Aeronauten zu kämpfen hatten, ist nicht bekannt; wahrscheinlich funktionierte die Steuerung über die Schwanz- und Heckenflossen nicht, und mit Sicherheit war die Dampfmaschine derart schwer, dass der Fliegende Delphin keinen Fingerbreit vom Boden abhob. Und hätte er sich doch einmal in die Lüfte erhoben, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit ein Funke aus der Dampfmaschine das Wasserstoffgas in der Ballonhülle zur Explosion gebracht.
    So neigte sich das Jahr 1816 zur Neige, ohne dass die Tore des Hangars sich geöffnet hätten. Über den Misserfolg gerieten die zwei Schweizer Luftschiffpioniere in Streit und gingen auseinander, worauf Pauly in Armut versank und 1821, fünfundfünfzig Jahre alt, irgendwo in der großen Stadt einsam, vergessen und fern von Vechigen starb.
    Durs Egg überlebte ihn um ein Jahrzehnt und wurde dreiundachtzig Jahre alt, aber auch ihm war es nicht vergönnt, den Fliegenden Fisch in der Luft zu sehen. Er erblindete 1822, wurde verbittert und verbrachte seine alten Tage mit familiären Streitigkeiten und

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