Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
Picknickkorb, der stets gut gefüllt war mit erlesenen Leckereien. Im weiteren Verlauf der Reise konnten die Passagiere die atemberaubende Schönheit der Welt aus der Vogelschau betrachten und dabei interessante Beobachtungen machen: zum Beispiel die, dass das Blau des Himmels, je höher man steigt, mehr und mehr dem tiefen Schwarz des Kosmos weicht; oder dass vom Ballon aus die Erde keineswegs eine Kugel zu sein scheint, sondern eher eine Art Teller mit erhöhtem Rand, da man nur die weit entfernt liegenden Berge in Seitenansicht sieht, nicht aber die direkt unter dem Ballon liegenden; oder dass ein Ballon keineswegs ruhig schwebt, sondern immerzu aufsteigt oder niedersinkt und dabei mitunter Geräusche macht wie ein bellender Hund; oder dass das Luftschiff zuweilen rascher sinkt als der Ballast, den man kurz zuvor abgeworfen hat, so dass einem der Sand wie bei einem Wüstensturm von unten her ins Gesicht fliegt, um gleich darauf, wenn der Ballon seinen Fall verlangsamt hat, wiederum sanft von oben herabzurieseln. Vor allem aber gaben sich die Luftfahrer einer staunenden Bewunderung hin, von der die am Boden Zurückgebliebenen nichts ahnen konnten. Schweigend genossen sie, wie schön das Gewebe von Wäldern und Wiesen, Feldern und Wasser, Berg und Tal, Fels und Schnee war, wie freundschaftlich die weißen Fäden der Straßen die Häuser der Menschen miteinander verbanden und wie lieblich Dörfer, Städte und ganze Länder nebeneinander lagen, als wäre in ihnen eine Sünde unmöglich. Weil der Ballon sich stets widerstandslos dem Wind hingab, entstand keinerlei Fahrtwind, und wenn auch das Luftschiff mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs über den Boden schwebte, so schien es doch in der Luft stillzustehen; und weil auf drei- oder viertausend Metern Höhe nichts mehr vom Weltenlärm zu hören war, herrschte dort oben eine ewig-eisige Stille, dass man reihum die Taschenuhren in den Vestons der Herren ticken hören konnte. Auch die Passagiere waren still; meist brachten sie nichts über die Lippen als beständige Ausrufe der Bewunderung und des Entzückens. Zuweilen geschah es, dass gestandene Männer der Wissenschaft in einen Glücksrausch, ein Gefühl unaussprechlicher Seligkeit verfielen. Manche lachten, andere weinten, und allen vergingen die Stunden des Flugs wie Minuten.
Nunmehr sein eigener Herr und Meister, hielt es Spelterini nicht länger in Paris. Schon am 5. September 1887 stieg die«Urania»in Wien auf. Als zahlender Passagier mit dabei war kein Geringerer als Graf Gustav Sigmund Kalnocky von Köröspatak, der immerhin schon fünfundfünfzigjährige Außenminister Seiner kaiserlichen Majestät, Franz Joseph von Habsburg. Die gesamte vornehme Welt Wiens war an jenem Morgen in ihren Equipagen und Fiakern zum Prater hinausgefahren, um dabei zu sein, als der Graf unter hundertstimmigen Hurrarufen zwischen den Bäumen in die Luft stieg. Es wurde, wie der adlige Passagier später berichtete, eine ziemlich stürmische Fahrt. Kurz nach dem Start geriet der Ballon in ein Gewitter, das ihn auf den Neusiedler See hinunterdrückte, und die Aeronauten mussten nebst sämtlichen Sandsäcken auch Bordeaux, Bier, Roastbeef und Semmeln über Bord werfen, um wieder genügend Auftrieb zu bekommen und nicht ins Wasser zu fallen. Die Fahrt endete irgendwo in Ungarn, wo der Korb zwischen Pferden, Kühen und Schweinen endlos über die Puszta holperte, bis der Ballon sich in einem Baum verhedderte und das Gefährt mit einem letzten Ruck zum Stehen kam. Kapitän und Passagier blieben unverletzt. Graf Kalnocky sollte noch viele Jahre in Amt und Würden bleiben und zu Spelterinis treuesten Gönnern zählen; und der Kapitän zog weiter, neuen Abenteuern entgegen.
Ein Jahr später, als er im englischen Leicester aufstieg, hatte er einen Journalisten der Midland Free Press dabei; von da an legte er großen Wert darauf, mit den Zeitungsleuten auf gutem Fuß zu stehen, was ihm zeitlebens zum Vorteil gereichen sollte. Zusätzliche Publicity verschaffte ihm die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Trapezkünstlerin Leona Dare, die ihre größten Erfolge einige Jahre zuvor in den Pariser Folies Bergères gefeiert hatte. Spelterinis und Leona Dares gemeinsame Auftritte – die der Kapitän in späteren Jahren schamhaft verschweigen sollte – bestanden darin, dass sie sich leicht bekleidet mit den Zähnen an einem Seil unter der Gondel festhielt und akrobatische Kunststücke vollführte, während er den Ballon in schwindelerregende
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