Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
Aber gebt mir eine Woche Zeit, um ein paar Sachen auszuprobieren. Ich habe da noch eine Idee. Keine Ahnung, ob sie funktioniert.« Meine Idee hieß Pilot Chute.
Ein Pilot Chute ist ein kleiner Fallschirm, eine Art Hilfsschirm. Man zieht ihn im Fallen raus, wirft ihn in den Luftstrom, und wenn man schnell genug ist, entfaltet er sich und zieht über eine Verbindungsleine den Hauptfallschirm heraus. Für sehr niedrige Sprünge nimmt man beim Base-Springen einen besonders großen Pilot Chute, weil der schneller Luft fängt. Doch bei einem 29-Meter-Sprung wäre ich, bevor sich der Schirm öffnete, schon lange auf der Besucherplattform aufgeschlagen. Ich wusste, ich würde meinen Hilfsschirm an der Absprungstelle anbinden müssen, damit sich mein Fallschirm kurz nach dem Absprung automatisch öffnen würde. Dazu musste ich aber erst einmal herausfinden, wie schnell so ein Schirm aufging, wenn er angebunden war. Zudem musste er mit etwas angebunden werden, das reißfest genug war, um den Fallschirm aus der Verpackung zu ziehen, dann aber wiederum zu schwach wäre, um mein Körpergewicht zu tragen – da ich sonst mit meinem Fallschirm an der Hand Jesu baumeln würde – auch ein cooles Bild, aber sportlich nicht ganz so wertvoll. Die Polizei könnte in aller Ruhe Fotos von mir schießen, bevor sie mich abhängen und verhaften würde.
Der neue Plan für den niedrigsten Base-Sprung aller Zeiten sah so aus: Wir suchen uns eine Brücke, wenn möglich über Wasser, springen mit fixiertem Pilot Chute und messen, wie schnell der Fallschirm aufgeht. Das Niedrigste, was ich bis dahin gesprungen war, war die Mangfallbrücke auf der Autobahn München–Salzburg. Das waren knapp 70 Meter gewesen, damals mit meinem Sprunglehrer Tracy. Er hielt den Hilfsschirm fest, zog den Schirm raus und ließ los. Aber auf der Jesus-Hand würde ich allein stehen. Der Marketingkollege von Red Bull Brasilien empfahl die Niterói-Brücke für unseren Testsprung: an ihrer höchsten Stelle 72 Meter hoch, darunter Wasser. Ich würde in einem Taxi auf die Brücke fahren, meinen Schirm am Brückengeländer festbinden, den Sprung filmen und messen, wie schnell sich der Schirm geöffnet hatte. Fehlte nur noch etwas, mit dem ich den Schirm fixieren konnte, etwas, das stark genug war, den Schirm rauszuziehen, ihn anschließend aber freigeben würde. Tracy schlug Plastikmüllsäcke vor: »Je mehr man die aufrollt, desto stabiler werden sie«, meinte er. Mein Leben würde also an einem Müllsack hängen.
In einem Fitnessstudio testeten wir mit Gewichten die Reißfestigkeit verschiedener Müllsäcke. Die Leinen des Schirms sind fünf, sechs Meter lang, so lang würde der freie Fall also mit Sicherheit dauern. 80 Kilo Gewicht würden an diesen Leinen hängen, da konnte man den Müllsack ruhig ein paarmal mehr zusammendrehen. Schließlich fanden wir heraus, dass fünfmal Rollen das perfekte Ergebnis brachte. Die nächste Frage, die sich uns stellte, war, wo ich beim Sprung von der Niterói-Brücke landen sollte. Im Wasser? Zu riskant. Es dauert ewig, bis man mit einem Schirm da wieder rauskommt, und wenn mich die Polizei bei diesem illegalen Sprung erwischte, nahm sie mir garantiert den Schirm weg und sperrte mich ein. Besser würde es sein, auf einem Boot zu landen und mit diesem gleich abzuhauen. Wir entschieden uns, den Bootsfahrer nicht ins Bild zu setzen, sondern ihm nur zu sagen, dass wir unter der Brücke ein bisschen filmen wollten. Zum Glück war Tracy früher mal Bootsfahrer auf dem Mississippi gewesen, kannte sich gut aus und wusste, wo man das Boot aus der Sicht eines Base-Springers platzieren musste und wie man verhinderte, dass es abdriftete. Wir hatten uns vorher im Hafen ein Boot ausgesucht, das am Heck einen Bereich hatte, auf dem ich würde landen können. Tracy dirigierte also das Boot unter die Brücke. Der Bootsführer war leicht irritiert, weil er sein Boot auf den Meter genau manövrieren sollte, und das nur für einen seltsamen Kurzfilm.
Oben auf der Brücke war es meine Aufgabe, dem Taxifahrer klarzumachen, dass ich mitten auf der Brücke aussteigen wollte. Auf die höfliche Bitte eines illegalen Base-Springers hin würde er das sicher nicht tun. Ich legte also meinen Fallschirm schon fix und fertig an, zog eine Jacke darüber und rief mitten auf der Brücke: »Sofort stehen bleiben, mir ist übel. Ich muss kotzen.« Das war das Zauberwort. Mein Taxifahrer stieg voll in die Eisen. Ich legte die Taxigebühr auf den Rücksitz, bedankte
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