Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
im Kopf: ein Pfarrerkostüm, einen Rollstuhl oder einen Gipsarm, das man schnell an- und ablegen kann. Alles, damit die Security denkt, der kann’s nicht gewesen sein. Über die Jahre habe ich mir viele Täuschungsmanöver in Kinofilmen abgeschaut und einen richtigen Fundus für mich abgespeichert.
So auch die Idee, mit der Armbrust ein Seil auf die Jesus-Statue in Rio zu schießen, um anschließend hinaufklettern zu können: Das war inspiriert von dem Film »The Rock« mit Nicolas Cage.
Aber noch mal zurück nach Kuala Lumpur. Es hatte also alles perfekt geklappt, trotzdem wäre die Sache im Nachhinein um ein Haar noch aufgeflogen. Nach dem Sprung blieb ich mit Tracy ein paar Tage im Marriott – und ich konnte nicht anders, als nachts ein paarmal vom Hoteldach zu springen. Auf den letzten zwei Stockwerken wurde gebaut, und so gelangte ich ohne größere Probleme aufs Dach. 150 Meter hoch, ein schöner Sprung, ohne Sonderwünsche vom Fotografen. Immer um Mitternacht trafen wir uns oben, rauchten eine Zigarette, und dann bin ich gesprungen – und unten wieder rein, mit dem Schirm unterm Arm an der Rezeption vorbei. Die Security hat sogar die Tür aufgemacht: »Hello, Mister Baumgartner.« Nach dem dritten Sprung stand ein neuer Securitymitarbeiter da, der völlig ausrastete und die Polizei rief.
Tracy und ich ergriffen die Flucht, liefen in irgendeine Seitengasse und versteckten uns in einer öffentlichen Toilette. Das einzige Versteck weit und breit, weswegen wir ziemlich schnell entdeckt und zur Polizeiwache gebracht wurden. Mithilfe eines Dolmetschers argumentierten wir hin und her, immer in der Angst, dass die Petronas-Geschichte auffliegen könnte. Irgendwann erzählten wir in unserer Not, dass man in Österreich jederzeit vom Dach seines Hotels springen dürfe, vorausgesetzt, man landet auf dem Hotelparkplatz. Wir hätten ja keine Ahnung gehabt, dass das in Kuala Lumpur anders sei. Sonst wäre ich nie gesprungen. Nach kurzer Rücksprache sagten sie: »Okay, unterschreiben Sie diese drei Seiten, dann lassen wir Sie frei.« Die Seiten waren leer. Ich sagte: »Was soll ich denn da unterschreiben? Da steht ja nichts drauf.« Darauf der Beamte: »Gut, dann brauche ich jetzt pro Seite drei weitere Stunden zum Ausfüllen.« Weitere neun Stunden auf der Polizeiwache? Nach sechs Stunden, die wir bereits dort gewesen waren, kein sonderlich verlockender Gedanke. Ich unterschrieb die leeren Seiten und bekam die Auflage mit auf den Weg, in Zukunft nur noch in Österreich von Hoteldächern zu springen.
Jesus in Rio – ein Bild für die Ewigkeit
Die Ideen für meine Sprünge kamen entweder von mir oder von Freunden, die irgendwo eine gute Brücke oder ein besonders geeignetes Gebäude entdeckt hatten. Oder der Einfall kam von Red Bull, wie etwa die Idee zum Sprung von der Jesus-Statue in Rio de Janeiro im Jahr 1999, gerade mal acht Monate nach dem Rekordsprung von den Petronas Twin Towers. Red Bulls neuer Marketingchef für Brasilien war gerade von Pepsi gekommen und durfte Sportler für Aktionen ins Land holen. Er sagte: »Wäre unser Nationalsymbol nicht etwas für diesen Felix Baumgartner, der von den Petronas gesprungen ist?«
Die Petronas Twin Towers und die Jesus-Statue haben auf den ersten Blick nicht viel gemein, aber mich stellten sie exakt vor die gleiche Frage: Wie komme ich da rauf ? Der Marketingchef hatte Baupläne der 30 Meter hohen Statue besorgen lassen und wusste, dass es eine Treppe für die Reinigungsleute gab, die die Skulptur zweimal im Jahr säubern. Der Eingang zur Treppe war eine mit Vorhängeschlössern gesicherte Tür, die man mit einer Eisenstange hätte aufbrechen können. Aber: War das smart? Immerhin hatte ich es mit einer heiligen Statue zu tun, die für die Cariocas Glaube und Glück symbolisiert und deren 28 Meter weit geöffnete Arme für die Wärme und Freundlichkeit stehen, mit der die Brasilianer ihre Besucher empfangen. Keiner würde begeistert sein, wenn ich mir gewaltsam Zutritt zu ihr verschaffte. Mir schwebte etwas Sportliches vor, ein kleiner Triathlon: Armbrustschießen, Klettern, Springen. Die Idee, die Jesus-Statue in Rio mithilfe einer Armbrust zu erklimmen, stammte, wie gesagt, aus dem Film »The Rock«. Darin gibt es zu Beginn eine Szene, in der der Zaun eines Hochsicherheitskomplexes mit Pfeilgewehren überwunden wird, an deren Munition ein Stahlseil befestigt ist. Das mit dem Stahlseil sollte sich für mich allerdings als wenig praktikabel herausstellen.
Zuerst
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