Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
dass man in Rio zwar Armbruste kaufen konnte, aber keine, die stark genug für mein Vorhaben waren. Es sah so aus, als müsste ich sie selbst mitnehmen. Aber wie?
Ich wandte mich noch einmal an den Verkäufer im Waffengeschäft: »Wie würde das eigentlich ablaufen, wenn ich mit meinem Handbogen an einem internationalen Wettkampf teilnehmen will? Wie geht das mit der Waffe?«
»Du brauchst einen Ausweis und solltest Mitglied im Schützenverein und im österreichischen Bogensportverband sein.«
Das war mir zu mühsam. Aber ein brasilianischer Zöllner hatte doch bestimmt keine Ahnung, wie ein Mitgliedsausweis des österreichischen Bogensportverbands aussah. Da würde ich noch nicht mal eine Originalvorlage benötigen wie beim Petronas-Ausweis, da müsste einfach nur etwas draufstehen, was offiziell genug wirkte. Und eine Einladung zu einem lokalen Armbrustschützenwettbewerb in Rio konnte auch nicht schaden.
Dann ging es endlich los, mit drei Koffern nach Rio. Am Flughafen wurde ich, wie erwartet, aus der Schlange am Zoll rausgezogen und gefragt, was ich mit der Armbrust im Gepäck wolle. »Ich bin Sportschütze und unterwegs zu einem Armbrustschützenwettkampf«, antwortete ich. »Hier sind meine Einladung und der Ausweis, der mich berechtigt, die Waffe mitzuführen.« Der Zöllner holte drei, vier seiner Kollegen, die alle ganz schön verwirrt waren. Wenn die die Armbrust konfiszieren, dachte ich, ist das ganze Projekt vorbei, bevor es richtig begonnen hat. Doch der Zöllner sagte: »Okay« und drückte einen Stempel auf meinen Ausweis. Halleluja! Dann baten sie mich, meinen zweiten Koffer zu öffnen, den mit den Fallschirmen. Der Zöllner schaute wieder ungläubig und fragte: »Das gehört auch Ihnen?«
»Ja«, antwortete ich, »ich will noch ein bisschen Fallschirmspringen.«
»Ah, alles klar.«
Und dann kam der letzte Koffer mit dem ganzen Kletterzeug. Der Zöllner muss gedacht haben: Was ist das denn für ein Vogel! Auf die Idee, dass ich den Inhalt der drei Koffer zusammen benutzen würde, kam er zum Glück nicht, und er ließ mich passieren. Ich schleppte meine Koffer durch den Zoll und saß schon bald schwitzend im Taxi zum Hotel. Geschafft! Das Equipment war schon mal im Land.
Für die folgenden Tage hatte ich eigentlich ein Entspannungsprogramm eingeplant, aber ich schaffte es nicht, mich einfach an den Pool zu setzen und zu relaxen. Ich musste sofort wissen, wie es da oben bei der Statue aussah. Schließlich hatte ich sie noch nie live gesehen, schon gar nicht mit Base-Springer-Augen. Aus dem Internet wusste ich, dass der Jesus rund 700 Meter über den Meeresspiegel emporragt, und auf allen Bildern sah es so aus, als hätte man diese 700 Meter auch tatsächlich zum Springen und Fliegen. Aber war das in der Realität auch so? Also rein ins Taxi, die Serpentinen hoch zum Corcovado, dem Berg, auf dem die Jesus-Statue steht. Und da war er, Cristo Redentor: mit einer Präsenz und einer Aura, fünfmal so dramatisch, wie es im Internet rübergekommen war. Doch von jeder Serpentine aus bekam ich einen anderen Eindruck von der Lage der Besucherplattform zu seinen Füßen: Mal ragte der rechte, dem steileren Hang zugewandte Arm weit über die Plattform hinaus, mal eher nicht, je nach Blickwinkel. Endlich oben angekommen, lief ich sofort zum Geländer am Rand der Plattform. An allen vier Ecken hängen dort große Scheinwerfer, die die Statue in der Nacht anstrahlen. Das Geländer war jetzt mit einem Mal die größte Hürde. Da musste ich beim Sprung drüber. Tracy hängte eine Wasserflasche als eine Art Lot an den Scheinwerfer, schaute senkrecht nach oben und sah: Der Rist der Hand lag genau über der Plattform. Was für ein Schock! 700 Meter Absprunghöhe waren gerade auf 29 Meter zusammengeschrumpft. Noch nie war jemand aus 29 Metern Höhe mit geschlossenem Fallschirm gesprungen. Er kam, sah und siegte? Von wegen! Es sah nicht gut aus, und an einen Sieg war im Moment gar nicht zu denken. Mein Plan war Makulatur. Eigentlich hätte ich gleich wieder heimfliegen können, aber ich hatte schon dieses Bild im Kopf, wie ich auf dem Arm von Jesus stand … Ein neuer Plan musste her.
Als Erstes musste ich meinen Partner Red Bull informieren. Thomas Überall sagte: »Wenn das wirklich so gefährlich ist, wollen wir es nicht riskieren. Komm nach Hause!«
»Ihr müsst mal herkommen und euch den Jesus anschauen«, war meine Antwort, »und spüren, wie majestätisch der ist! Wenn’s nicht geht, komme ich nach Hause.
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