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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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hochklettern musste ich diese 29 Meter ja auch noch. Ein irrsinniger Kraftakt mit den Steigklemmen! Das hatte ich trotz meiner Trainingseinheiten völlig unterschätzt. Total entkräftet kam ich oben an und schaute mir erst mal die Hand aus der Nähe an. Daran musste ich nun meinen Müllsack befestigen. Zuvor hatte ich mal einen Helikopter-Rundflug gemacht und dabei viele Fotos von oben geschossen. Überall auf der Jesus-Hand waren Blitzableiter angebracht worden, nachdem die Staue in Gewittern immer wieder mal vom Blitz getroffen und beschädigt worden war. Mit einem Spezialknoten, den mir Tracy gezeigt hatte, band ich an fünf dieser Blitzableiter Knoten fest, als Sicherung. Dann war die Showbühne bereitet, der Hubschrauber konnte kommen. Es blieb ein bisschen Zeit. Zeit für Jesus und mich.
    In der Hotellobby hatte ich vor unserem Aufbruch am Abend zuvor einen kleinen Blumenstrauß mitgehen lassen. Die Blumen legte ich Jesus nun auf die Schulter, um ihn gütig zu stimmen. Ich bin nicht tief gläubig, aber das hier war eine heiße Kiste. Da konnte ein kleines Sträußchen für den Sohn Gottes nicht schaden. Zu meinen Sicherheitsvorkehrungen in dieser Hinsicht zählte auch eine kleine Plastikflasche. Es war klar gewesen, dass ich in der Zeit, die ich hier oben sitzen würde, irgendwann würde pinkeln müssen. Und ich wollte auf keinen Fall an der Jesus-Statue runterpinkeln! Das wäre Gotteslästerung gewesen, das ging gar nicht. Und so erleichterte ich mich nach meinem langen mühsamen Aufstieg, vor dem ich viel getrunken hatte, in die Plastikflasche und warf sie zu den Jungs runter, begleitet von dem Funkspruch: »Auffangen und entsorgen!« Keine Schlösser aufbrechen, nicht den Jesus anpinkeln, ein Blumensträußchen ablegen und ihn höflich bitten: »Hey, lass uns das jetzt gemeinsam machen. Das ist für uns beide was Neues.« Das schien mir der richtige, der smarte Weg zu sein.
    Ein Mensch, dem es gut geht, denkt selten an Gott. Erst wenn es einem richtig schlecht geht oder man einen Krankheitsfall in der Familie hat, beginnt man auf einmal wieder zu beten: »Gott, steh mir bei!« Das hat mich bei all meinen Sprüngen begleitet: In den gefährlichen Momenten, als ich nahe dran war, das Leben zu verlieren, habe ich das Gespräch mit Gott gesucht.
    In meine Gedanken versunken saß ich da oben und wartete auf den richtigen Moment zum Absprung. Um halb sieben ging allmählich die Sonne auf, und ich wusste: Jetzt wird’s ernst. Die Kollegen unten standen über Funk in Kontakt mit dem Helikopterpiloten, der auf Stand-by war und auf das richtige Licht wartete. In diesem Moment meldete einer meiner Helfer von seinem Aussichtsposten: »Die Security kommt!« Entweder brach der Sicherheitsdienst zum morgendlichen Kontrollgang auf, oder die Leute waren gerufen worden. Wie auch immer: Jetzt musste es schnell gehen. Ich löste das Kletterseil. Es gab nun kein Zurück mehr. Und schon hatte mich die Security unten auf der Plattform bemerkt. Die beiden Männer waren völlig aus dem Häuschen, weil ich da oben auf der Hand saß. Die zwei Kameraleute hatten sie bereits verhaftet, deswegen gab es später von der Besucherplattform aus keine Aufnahmen, sondern nur vom Hubschrauber und von unterhalb der Plattform. Und von meiner Handkamera. Der Dolmetscher erklärte uns anschließend, dass die Securitymänner uns nur loswerden wollten, bevor um acht Uhr ihr Boss gekommen wäre und sie ihren Job verloren hätten.
    29 Meter weiter oben war ich nun voll auf mich selbst konzentriert. Bis zu diesem Moment hatte ich nur auf der Hand gesessen, jetzt stand ich zum ersten Mal auf. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, schaute ich nicht gerade nach vorn, sondern neigte meinen Kopf leicht nach unten. Und dann hörte ich den Hubschrauber. Wir hatten ausgemacht, dass er dreimal um mich herumfliegen sollte, und wenn die Sonne für den Fotografen im exakt richtigen Winkel stand, dann würde ich springen. Wie beim Petronas-Sprung musste ich auch hier nicht bloß an den Sprung, sondern auch an den Fotografen denken und das Artwork im Hinterkopf haben. Survival-Modus und Business-Modus liefen gleichzeitig. Wir brauchten die Bilder! Wir wollten es schließlich der ganzen Welt zeigen!
    Stehend auf der Jesus-Statue, nahm ich plötzlich alles nur noch gedämpft wahr, auch das Rotorgeräusch des Hubschraubers. Ich wusste: Wenn der Hubschrauber nach der dritten Runde vor mir auftaucht, ist das das Kommando zum Absprung. Der Helikopter kam, ich sprang,

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