Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
hatte ich ein Audio-File von einem Fünf-Sekunden-Countdown auf meinem MP 3-Player. Länger würde mein Fall vom Absprung bis zum Reißen der Leine nicht dauern. Um die richtige Einstellung des Countdowns zu ermitteln, musste ich ein paar Probesprünge aus ähnlichen Höhen machen. Auf einen MP 3-Player zu vertrauen, der mir sagte, wann ich den Schirm öffnen musste, bedeutete für mich, die Kontrolle abzugeben.
Zu diesem ungewohnten Gefühl kam hinzu, dass die Höhle eng und schwer zugänglich war. Wenn ich mir da unten die Knochen brach, musste ich zunächst aus der Höhle geborgen und konnte erst dann mit dem Rettungshubschrauber zu einem reservierten Notbett im Krankenhaus geflogen werden. Um sich zu verletzen, war diese Höhle ein denkbar ungünstiger Ort.
Für den Tag des Sprungs hatten wir daher eine perfekte Rettungskette eingerichtet. Es gab Spezialisten für Höhlenbergungen vor Ort und einen Arzt aus den USA mit einem Koffer voller Medikamente. Er sagte: »Wenn du da unten liegst, bist du froh, dass es diese Pillen gibt.« Wir hatten einen Medikopter kommen lassen, der mich innerhalb von 40 Minuten nach Klagenfurt ins Krankenhaus gebracht hätte. Dort war schon ein Bett für mich reserviert, und ein Oberarzt hielt sich bereit. All das wäre ohne einen Partner undenkbar gewesen, der bereit war, diese Sicherheitsmaßnahmen zu finanzieren, auch für den Fall, dass der Sprung abgesagt werden musste und alles umsonst gezahlt wurde. Für Red Bull ist es immer das Wichtigste, dass der Athlet gesund nach Hause kommt – erst dann kommt die Leistung. Nach dem fürchterlichen Unfall von Karina Hollekim etwa hat man ihr Budget verdoppelt, einfach um zu zeigen: »Um das Geld brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Schau, dass du gesund wirst, dass dein Bein wieder fit wird. Wir stehen zu dir!« Dieses Wissen um die bedingungslose Unterstützung durch Red Bull half mir mental sehr. Dass du weißt: Das sind Profis. Wenn was schiefgeht, bringen die dich aus der Höhle raus. Da steht dann ein Medikopter samt Mannschaft, und in 40 Minuten sagt der Doktor: »Herr Baumgartner, Sie werden jetzt ein wenig schlafen.« Und von dem Sägen und Schrauben bekommst du dann nichts mehr mit. Das hilft irrsinnig. Hätte ich diese Gewissheit nicht gehabt, ich wäre so abgelenkt gewesen, dass ich die Leistung wohl nicht hätte bringen können. Das Geheimnis war auch hier: Vorbereitung, Strukturen schaffen, um alles andere als den Sprung ausblenden zu können. Und der Sprung wurde ein voller Erfolg: Eine Minute vor dem Countdown zog ich meinen Helm über, dann ging ich zum Exit-Point auf einem kleinen Felsvorsprung am Höhlenrand, bekreuzigte mich, ließ mich in den dunklen Höhlenschlund fallen und öffnete den Fallschirm dank des MP 3-Countdowns exakt dort, wo der Höhlentrichter nach unten hin weit genug geöffnet war, dass ich im Landeanflug nicht gegen den Fels prallte. Die Landestelle selbst war mit einem Pfeil aus Leuchtstäben markiert, den ich, kurz nachdem sich der Fallschirm geöffnet hatte, am Höhlenboden ausmachen konnte. Nach der Landung stieß ich einen Jubelschrei aus, der noch lange im Höhleninneren nachhallte.
*
Red Bull hatte natürlich vor dem Mamet-Sprung gewusst, dass mir bei allem, was ich tat, ein Sicherheitspolster extrem wichtig war. Ihnen war klar: »Der Felix macht es nur dann, wenn alles sicher ist. Wenn es keinen Rettungshubschrauber gibt, brauchst du ihn erst gar nicht zu fragen, dann springt er nicht, das kann ich dir jetzt schon sagen.« Letztlich haben wir alle unsere Standards. Wir haben mal bei einer Aktion in Amerika ein Video gedreht, und der Regisseur sagte: »Hier drinnen ist es zu heiß. So kann ich nicht arbeiten.« Dann hat er einen halben Tag lang rumtelefoniert, um eine Klimaanlage zu organisieren. Jeder normale Auftraggeber hätte da gesagt: »Hallo! Das kostet Geld! Das kostet Zeit!« Aber bei Red Bull wusste man: »Der macht jetzt nur einen guten Job, wenn der Raum genau 18 Grad hat und vielleicht noch eine Portion Sushi auf dem Tisch steht. Wenn es 19,5 Grad hat, ist er nicht gut drauf.« Das kostete alles eine Lawine von Geld und viel Zeit, aber wenn dann alles perfekt hergerichtet war, war er halt einfach der beste aller Regisseure. So einen Status musst du dir erarbeiten. Am Anfang heißt es vielleicht noch: »Danke schön, wir suchen uns einen anderen.« Aber irgendwann hast du dich durchgesetzt bei den Leuten, und sie wissen: »Wenn wir ihm seine fünf Wünsche erfüllen, haben
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