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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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zeigen kann und darf, dass ich nicht schauspielern muss, um das Team über irgendetwas hinwegzutäuschen. Ich kann einfach sagen: »Jetzt habe ich Stress.« Ein befreiender Moment. Ein Moment, der paradoxerweise den Stress von mir nimmt. Aber zugleich verspüre ich den Druck, dass etwas passieren muss in meinem Kopf, schließlich würden wir sonst nicht hier sitzen. Wir haben noch vier Wochen, wobei die letzte Woche schon für die Tests verplant ist. Also drei Wochen. Nicht viel Zeit, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
    Nach zehn Minuten im Helm ist mein Gemütszustand auf Level drei: leichte Anspannung, aber noch auszuhalten. Mike redet auf mich ein: »Versuch mal, aus dem Helm rauszugehen mit deinen Gedanken. Denk jetzt mal nicht: Ich bin hier drin. Ich krieg zu wenig Luft. Es ist eng. Es ist heiß. Geh mit den Gedanken raus! Schau mal, in welchem Raum du bist. Wenn wir beide reden, bist du mit deinen Gedanken direkt bei mir. Wenn du nach hinten schaust, hast du dein Gesichtsfeld schon erweitert.« Gerade in so einem Helm ist es wichtig, auf welcher Schiene du bist. Du möchtest dich an der Nase kratzen und denkst: Mist, ich kann da jetzt nicht hin. Mich juckt es aber schon die ganze Zeit. Das Jucken wird immer ärger. Dann kommt Art rein und sagt: »Was macht ihr denn hier, Jungs?« Mike antwortet ruhig: »Ich mache gerade einen Test mit Felix.« Art meint, er müsse kurz mit mir reden, erzählt mir irgendetwas über ein Gerät, das wieder funktioniert, und verschwindet nach zwei Minuten. Ich konzentriere mich wieder auf Mike und merke: Hey, ich hab gar nicht mehr an meine juckende Nase gedacht. Der Juckreiz war vorhin noch total präsent, aber kaum werde ich abgelenkt, ist die Nase vergessen. Mike hat recht: Ich muss mich ablenken, muss in Gedanken aus diesem Helm raus, kann da nicht drinbleiben und ständig über irgendwelche Dinge nachdenken! Ich muss was sehen, einen Film, ein Videospiel spielen, rückwärts zählen, einfach raus aus dem Helm!
    Also lenke ich mich mit allen möglichen Dingen ab. Irgendwann fragt Mike: »Wie fühlst du dich?«
    »Na ja, vier, vielleicht fünf«, antworte ich.
    »Zwanzig Minuten haben wir schon. Schaffst du noch zehn Minuten? Dann hätten wir eine halbe Stunde. Das wäre ein guter Anfang.«
    Ich bin noch nicht in Panik. Und ich weiß, ich kann ziemlich nah an den Punkt herangehen, weil ich das Visier jederzeit öffnen kann. Wenn ich in dem Anzug stecke, kann ich da nicht so ohne Weiteres raus. In dem Anzug würde ich mich nicht so nahe an diese Grenze heranwagen. Aber nur mit dem Helm auf dem Kopf ist das Problem innerhalb von einer Sekunde gelöst. Das alles erzähle ich Mike, wir reden und reden. Auf der Skala bin ich nun nahe an der Sieben. Mike hat meinen Puls gemessen, verrät mir aber nicht die Werte, sondern redet einfach weiter, die ganze Zeit über: »Können wir noch ein bisschen länger machen? Versuch mal dieses … Du solltest nicht jenes …« Mit verschiedensten Ablenkungsmanövern versucht er, mehr Zeit rauszukitzeln, meine Hemmschwelle immer höher zu schieben. Er pusht mich in Zehn-Minuten-Blöcken und sagt schließlich: »Das waren jetzt 57 Minuten. Die Stunde machen wir noch voll. Dann hören wir wirklich auf.« Ich rufe: »Das hast du schon dreimal gesagt!« Drei Minuten später habe ich eine Stunde geschafft. Am ersten Tag!
    Erst jetzt erzählt mir Mike von meinen Pulswerten: »Du warst jetzt drei Monate nicht in dem Helm. Alle schauen auf dich, wie du reagierst, wenn du weißt, wir haben nur drei Wochen Zeit. Und wenn wir es in drei Wochen nicht schaffen, dann gibt es den Test nicht, und wenn es den Test nicht gibt, dann gibt es vielleicht das Projekt nicht. Aber du hast jetzt eine Stunde geschafft. Und weißt du was? Du hast in dieser einen Stunde deinen Zustand beschrieben von drei bis sieben, das heißt von mehr oder weniger relaxed bis Ich-muss-jetzt-langsam-raus. Und dein Pulsschlag hat sich bis auf plus-minus zwei Pulsschläge nie verändert! Das heißt, das, was du mir gerade beschrieben hast, hat sich nur in deinem Kopf abgespielt, nicht in deinem Körper. Dein Körper hat keinen Stress, sonst würde dein Puls hochgehen. Zwei Pulsschläge rauf und runter in einer Stunde, aber dein Gefühlszustand geht von halbwegs relaxed bis Du-musst-jetzt-raus: Das ist also alles Einbildung. Dein Kopf meldet dir etwas, das es gar nicht gibt.«
    »Ist das gut oder schlecht?«, frage ich ihn.
    »Das ist gut! Deinen Kopf bringen wir schneller in Ordnung als

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