Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
Trauzeuge, habe ihm bei der Hochzeit damals die Ringe mit dem Fallschirm gebracht. Unser Koch Henry jedenfalls hat geantwortet: »Ich bin Friseur.«
Als Koch arbeite er nur nebenbei, weil es ihm Spaß macht. Wir haben uns noch am selben Abend bei ihm im Hotel getroffen, einem einfachen Drei-Sterne-Laden. Im Badezimmer hatte er seinen Friseurladen aufgebaut. Schon verrückt: Ich mache mir ewig einen Kopf, wie ich beim Frühstück bloß an diesem blöden Steak mit Eiern vorbeikomme, und der Typ mixt mir zwei Supershakes mit allem Drum und Dran – und schneidet mir auch noch die Haare. Was für ein Rundumservice. Henry ist zuständig für mein leibliches Wohl und für mein Aussehen. Ich bin happy, und er ist verdammt stolz: Wenn er nach Hause kommt, dann erzählt er jedem: »Jungs, und wer hat dem Felix die Shakes gemixt? Und wer hat ihm die Haare geschnitten?« Die Frisur ist also an diesem entscheidenden Morgen kein Problem mehr.
Und dann, um zwei, klopft Helmut an meine Tür, genau wie vor den Testsprüngen. Jedes Mal kam es mir vor, als würde es zu meiner eigenen Hinrichtung gehen. Auch bei den Testsprüngen. Kurz noch die Henkersmahlzeit, dann klopft auch schon der Wärter an der Zellentür. Jetzt gehe ich raus aus diesem sicheren Hotelzimmer. Jetzt geht es mit jedem Schritt hinein in die Öffentlichkeit. Ich gehe runter zum Auto, da wartet schon die BBC , die Jungs, die für die Dokumentation seit fünf Jahren nicht von meiner Seite gewichen sind. Heute ist nun endlich der große Tag. Vor vier Tagen haben wir das auch schon gedacht, aber heute ist es wirklich so weit: der letzte Ballon, das letzte Wetterfenster. Ich sagte den BBC -Jungs ein paar belanglose Sätze und dann: »Hey, ich will jetzt meine Ruhe haben und nicht viel quatschen.«
Von Nicole verabschiede ich mich mit einem kurzen Kuss: »Du, ciao. Wir sehen uns in ein paar Stunden wieder.« Keine Zeremonien. Das habe ich immer gehasst. Kein Ach-wenn-dir-was-passiert. Ich gehe raus, als würde ich wie jeden Morgen zur Arbeit aufbrechen: »Bis später, Schatz.« Zum ersten Mal habe ich das bei Tracy gesehen. Wenn wir irgendwo hingeflogen sind, sagte er zu seiner Freundin kurz Tschüss – und war weg. Kein Umdrehen, kein Winken, nichts. Nicole versucht in dem Moment, ihre Tränen vor mir zu verbergen, um mich nicht zu beunruhigen.
Wenn jetzt alles funktioniert, sitze ich am Abend da, und es ist wie ein großer Befreiungsschlag. Denn eines muss ich sagen: So toll und rühmlich alles aussehen mag, es war ein fünfjähriges Gefängnis für mich. So habe ich das wirklich empfunden. Weil du nichts anderes mehr machen kannst. Ich beneidete jeden, der in Urlaub fährt, der ganz normal zur Arbeit geht. Klar, ich dachte: Das ist schon geil, was du da machst, und wenn es funktioniert, ist es richtig geil. Aber die letzten fünf Jahre bin ich durch die Hölle gegangen. Dieser Druck mir selbst gegenüber, dieses Nicht-wissen-wie-es-ausgeht, dieses: Geht das überhaupt? Keiner hat den Rekord in 50 Jahren überbieten können, das hat ja einen Grund – warum glaube ich, dass ich es schaffe, wenn es alle anderen in 50 Jahren nicht geschafft haben? All diese Selbstzweifel in schwachen Momenten, diese Angst vor einem Rückschlag: Irgendwann steige ich in meinen Anzug und bekomme wieder Panik, aus dem Nichts heraus. Wie ein Alkoholiker irgendwann rückfällig wird wegen eines blöden Bieres. Darauf habe ich stets und ständig gewartet, bis zur letzten Minute. Draußen am Fernseher warten Millionen Leute, die sagen: »Was ist denn jetzt? Wir wollen den Felix sehen!«
Jetzt, morgens um zwei, denke ich: Bald bin ich frei, bin wieder ein Mensch, kann mich anderen Dingen widmen, mich zurücklehnen, muss nicht mehr nach Amerika, um diese Tests zu machen. Ein euphorischer Moment, weil das Ende naht. Das Aufstehen habe ich hinter mir, die Frühstücksshakes warten unten im Auto, damit ich die nicht in der Hektik der Mission Control runterstürzen muss. Eine Sache weniger, die ich erledigen muss, ein Schritt weniger. Und es werden an diesem Tag noch eine Menge Schritte sein bis zu dem einen entscheidenden.
Musik ist ein anderes wichtiges Thema für mich. Ein Freund aus der Schweiz hat mir eine Spezialversion des Soundtracks von »300« gemixt, dem Spartanerfilm mit Gerard Butler in der Hauptrolle. Mit diesem Sound fahren wir die halbe Stunde raus zur Mission Control, volle Lautstärke im Auto. Danach den Soundtrack von »Apollo 13« und von »Armageddon«. Das ist mein
Weitere Kostenlose Bücher