Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
Ritual.
Mit dieser Musik aus den Raumfahrtfilmen haben wir schon während meiner Anzugproblematik angefangen. Andy und Mike haben mich bestärkt: »Du kannst das. Das unterscheidet dich von den anderen Menschen. Du hast die Möglichkeit, von dort oben zu springen.« Diesen Gedanken habe ich immer wieder versucht, mir in den Kopf zu holen. Ich kann mir nicht Woodstock anhören, wenn ich Überschall fliegen will, das ist das falsche Thema. Als Athlet weißt du am besten, was dich motiviert. Der eine hört gern Klassik, der andere Hardrock, und ich brauche eben dieses Weltraumthema.
Auch die Jungs von der BBC waren durch diese Musik im gleichen Modus wie wir: »Wir ziehen jetzt in die Schlacht. Wir machen jetzt unseren Film!« Fünf Jahre waren sie dabei, in guten wie in schlechten Momenten, wie die Fliege an der Wand, aber nicht störend. Colin Barr, der Story-Teller der BBC , ist zu einem Freund geworden. Ein sehr angenehmer Mensch. Es gibt ja Fernsehleute, die regen einen auf. Aber mit Colin war jedes Interview eher eine Diskussion, ein Austausch, kein Aushorchen. Dieses Projekt ist ja nicht nur unser Baby, sondern auch ihres. Auch die BBC hatte ihre Aufs und Abs, Budgetprobleme. Die Dokumentation war für zwei Jahre geplant. Und dann hieß es: »Wir brauchen jetzt für drei Jahre Kameraleute, Flüge, Hotelkosten.« Und dann noch mal für zwei weitere Jahre! Die hatten das gleiche Problem wie wir, fast noch schlimmer, weil die BBC ja aus Steuergeldern finanziert wird. Die haben in ihrem Bereich genauso um die Sache gekämpft, mit den gleichen Waffen, gegen den gleichen Feind.
Die BBC -Jungs steigen zu uns ins Auto, Helmut gibt mir meine zwei Drinks. Ich drehe »300« auf, und los geht’s, diese lange gerade Straße vom Hotel durch die Stadt Roswell. Keiner spricht, alle kennen den Weg schon auswendig. Da kommt die Tankstelle, da der Kirchturm, die Main Street entlang, rechts ab zu dem aufgelassenen Runway, rüber zur Mission Control, unserer Mondbasis. Die Bilder wiederholen sich, aber ich weiß: Heute ist der letzte Tag. Wenn alles gut geht, ist es heute vorbei.
Eine halbe Stunde dauert die Fahrt zur Mission Control, doch heute geht es viel zu schnell. Ich möchte eigentlich noch ein bisschen fahren. Ich möchte noch nicht da sein. Aber an der Tankstelle müssen wir rechts abbiegen. Es hilft ja nichts. Dann kommt der Moment, in dem ich auf der linken Seite durch den Absperrzaun zum ersten Mal die Kapsel sehe, angestrahlt von diesem riesigen Scheinwerfer, umgeben von angespannten Teammitgliedern. Ich schaue hoch zu den drei großen Ballonen: ein Meter hohe Wetterballone in unterschiedlichen Höhen: Was macht der Wind in 50, 100 und in 150 Metern Höhe? Wenn die Verhältnisse ideal sind, stehen diese drei Ballone in einer Linie. Im Moment scheint allerdings noch ein bisschen Wind zu gehen. Aber, mein Gott, es ist ja noch nicht mal halb drei.
Vorn am Gate müssen wir bei der Mission Control anrufen: Das Begleitfahrzeug kommt, langsam geht das Tor auf, und wir werden die letzten paar Meter eskortiert. Links von mir stehen drei Helikopter: Kamerahelikopter, Arzthelikopter und der Heli, der mich nach der Landung aus der Wüste abholen soll. An denen fahre ich entlang und denke: Kamera-Heli: geil, der macht gute Bilder. Abhol-Heli: geil, wenn ich da drin sitze, ist es geschafft. Dann der Arzt-Heli: Hoffentlich brauche ich den nicht. Den will ich später lieber nicht sehen. Hoffentlich bleibt der genau da stehen, wo er jetzt steht.
Bei all meinen Base-Sprüngen war immer der gleiche Arzt dabei, Fritz Firlinger aus Linz, egal, ob ich in Kroatien gesprungen oder über den Ärmelkanal geflogen bin. Und jedes Mal habe ich denselben Satz zu ihm gesagt: »Fritz, schön, dass du da bist und ich dich nicht gebraucht habe.«
Wir fahren an den Hubschraubern vorbei Richtung Mission Control, vorbei an all den Kameramännern, die ihre Kameras auf die Schulter schwingen. Dann steigen wir aus dem Auto in die Welt hinaus. Von jetzt an sind wir live im Fernsehen. Ein kurzes Hallo und rein in die Mission Control, zum Briefing. Art ist da, Joe und Don. Don sagt: »Das Wetter sieht gut aus. Pass auf, wenn wir um sieben starten können, dann hätten wir diesen Wind hier.« Er reicht mir drei ausgedruckte Blätter und zeigt auf unterschiedliche Linien. Wir müssen genau das knappe Zeitfenster treffen, in dem die Nachtwinde schon eingeschlafen und die Morgenwinde noch nicht aufgewacht sind. Nach rund zweieinhalb Stunden sollte ich am
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