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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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auf die Weltraumtoilette geht, desto besser kommt man zurecht. Wenn das »Kondom« überläuft, wird es feucht im Anzug. Dieser würde dann beim Öffnen der Kapseltüre bei minus 70 Grad sofort schockgefrieren.
    Sechs Trinkflaschen habe ich dabei: drei mit Wasser und drei mit einer Elektrolytlösung. Reines Wasser geht schnell durch den Körper, weil keine Mineralstoffe drin sind. Das heißt, man muss relativ schnell wieder pinkeln. Sobald Elektrolyte beigemischt sind, bleibt das Wasser länger im Körper.
    Ernährung, trinken, sich gut fühlen ist essenziell wichtig. Ich muss konzentriert sein, meine Instrumente im Griff haben, bereit sein zu reagieren, falls irgendetwas Ungewöhnliches passiert. Ich habe nicht viel Zeit, keine Hilfe, muss alles selbst machen, und es kommt auch keiner, der mir hilft. Ich muss mich zu 100 Prozent auf meine Ausbildung, meine Skills, meine Reaktionsfähigkeit, mein Wissen und auf meine Entscheidungsbereitschaft verlassen können. Da darf nichts ablenken. Ich bin schon seit zwei Uhr in der Früh unterwegs, seit sieben Stunden. Mir ist kalt, ich fühle mich gestresst und bekomme allmählich Hunger, kann aber nur trinken. Jetzt wäre ein Steak genau das Richtige. Hoffentlich verringert der Unterzucker nicht mein Leistungsvermögen.
    Dann kommt der Funkspruch von Don: »In zehn Minuten!« Zeit für den Launch. Ich klappe den Laptop zu, über den ich bis zuletzt noch Musik gehört habe, verabschiede mich von Gerard Butler und »300« und weiß: Jetzt geht es raus.
    Wie habe ich mich darauf gefreut, aus diesem Trailer herauszugehen. »Hey, Leute, schaut her: Ich bin bereit. Ich will es!« Ich stehe also auf und spüre erstmals das ganze Gewicht auf meinem Körper. Ich sitze ja schon zweieinhalb Stunden da, und alles, was mir angeschnallt worden ist, wiegt im Sitzen nicht so schwer. Aber wenn du aufstehst, merkst du, dass du über 150 Kilo wiegst und zwei Stunden lang die Beine nicht bewegt hast. Dazu die Sauerstoffflaschen, der Helm. Die Tür geht auf, es ist taghell, und ich spüre die Wärme der Sonne. Zuvor saß ich quasi in einer Kühlkammer. Beim Rausgehen schaue ich in die Gesichter der Jungs, und alles läuft ein bisschen wie in Zeitlupe ab. Dieses Gefühl hatte ich damals auch auf der Jesus-Hand, als ich da oben stand, der Hubschrauber um mich herumflog und es auf einmal komplett still wurde. Der ganze Fokus zieht sich zusammen auf das Wesentliche. Auch am Höhlenrand in Kroatien war das so. Das muss ein System im Kopf des Menschen sein, dass sich im Zustand allerhöchster Anspannung alles nur mehr auf das reduziert, was dann noch wichtig ist.
    Das ist der erste Moment an diesem Tag, den ich richtig genießen kann. Ich weiß, wenn ich gleich in meiner Kapsel bin, die Tür ist zu und versiegelt, dann habe ich meinen Frieden. Jetzt ist es meine Show, jetzt hantiert keiner mehr an mir herum, keiner schließt mehr Schläuche an. Die Bedingungen passen, der Ballon ist schon gefüllt, wir sind sehr nahe am Launch, und wenn ich dann mal unterwegs bin, müsste schon wirklich viel schiefgehen, dass ich da nicht raufkomme.
    *
    Ein ganz interessanter Weg dann, diese paar Meter zum Kran. Im Bild siehst du: Der geht zwei Meter nach draußen und steigt in den Kran. Aber was auf diesen paar Metern im Kopf des Athleten passiert, das sieht und weiß kein Mensch. Ich habe mich fünf Jahre vorbereitet, bin guter Dinge, habe meine Hausaufgaben gemacht, aber ich weiß trotzdem nicht, ob ich in drei Stunden wieder hier sein werde. Es kann noch so viel passieren.
    Ich steige auf den Kran, blicke noch mal in die Menge, dann fährt der Kran hoch, und ich schwebe über den Dingen. Wenn es auch nur ein paar Meter sind: Ich sehe die Welt schon von oben. Das Einsteigen in die Kapsel ist ein richtig guter Moment: Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich schnalle mich an und prüfe die Checklisten. Mike Todd tritt an die Tür der Kapsel. Mikes Augen erinnern mich in diesem Moment an die Augen meiner Mutter. Wenn ich früher von zu Hause weg bin und gesagt habe: »Tschüss, ich fliege nach Rio«, dann habe ich meiner Mutter in die Augen gesehen und wusste, was sie dachte. Hoffentlich kommt er lebend wieder zurück. Sie sprach es nie aus, aber ich sah es in ihren Augen. Bei Mike ist es genau dasselbe. Über die Jahre ist er eigentlich so etwas wie mein Vater geworden. Einmal habe ich bei einem Testsprung den Griff des Reserveschirms zunächst nicht gefunden, mich zu sehr auf meine Kamera konzentriert, und erst 150 Meter

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