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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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besten auf Höhe sein, ungefähr 60 Kilometer nordwestlich von Roswell, über einem riesigen Landegebiet.
    Das letzte Wort im Briefing hat Joe: » We do it today! Das wird heute der nächste Weltrekord!« Ich fühlte mich geehrt, weil er quasi im Voraus jetzt schon seinen Rekord abgibt. Ich glaube, dass er dachte: Jetzt bin ich noch vier Stunden Rekordhalter, noch drei, noch zwei, noch eine Stunde – jetzt gebe ich meinen 52-jährigen Rekord ab. Aber immer hat er mir vermittelt: »Ich freue mich, dass ich helfen kann. Du verdienst das!« Ich habe mich oft gefragt, wie sehr kann man etwas loslassen, das ein halbes Jahrhundert dein Leben bestimmt hat.
    Ein paar Abschlussglückwünsche von Joe, und dann gehe ich wieder raus, steige ins Auto, das mich zum Trailer fährt. Mit dabei sind Andy und Klaus Hammerle. Klaus habe ich vor ein paar Jahren bei einem Werbedreh für einen Sponsor kennengelernt. Ich hatte mir kurz zuvor einen Hexenschuss eingefangen, und es stellte sich heraus, dass Klaus ein begnadeter Masseur ist – und den wollte ich bei Stratos dabeihaben. Ich brauche nur irgendwas unglücklich hochzuheben, mir das Kreuz zu verreißen, dann stehen 50 Leute da, und ich kann wegen eines Hexenschusses nicht springen. Jeder Sportler hat immer einen Therapeuten oder einen Masseur dabei, und ich habe das zum ersten Mal.
    Ich merke nach so einer Massage sofort, wie ich mich ganz anders bewege, wenn ich gut ausgerichtet bin. Klaus sagt: »Ich kann dich immer so ausrichten, dass du mittig bist. Die meisten Menschen sind nicht ausbalanciert.« Eigentlich bin ich kein Freund von solchen Dingen, aber Millionen von Muskelfasern können nicht irren. Zwischendrin hat mich auch Art mal massiert. Er ist interessanterweise ein genialer Masseur! Wenn ich irgendwo gesessen habe, fragte er mich: »Na, Felix, wie geht’s dir heute?« und fing an, mich mit seinen knochigen Fingern zu massieren. Der Projektleiter: tüftelt aus, verhandelt – und massiert den Athleten. »Guten Morgen, Herr Masseur. Oder sind wir heute wieder Projektleiter, Art?« Ein Spaß war das.
    In meinem Trailer massiert mich Klaus eine Viertelstunde und richtet mich aus, bevor ich in den Anzug steige. Dann kommt der Arzt zum letzten medizinischen Check. Er legt mir einen Brustgurt an, der für die Navy Seals entwickelt worden ist, um Pulsschlag, Atmung und weitere Lebensfunktionen zu erfassen und der Einsatzleitung zu übermitteln. Andy geht sicher, dass der Gurt sein Signal sendet. Jetzt fehlt nur noch der Anzug. Aber ich bekomme noch eine kleine Gnadenfrist: Weil der Wind auffrischt, verzögert sich der Start. Der Anzug bleibt also vorerst, wo er ist. Ich lege mich aufs Bett und schlafe tatsächlich ein, morgens gegen halb fünf. Ich weiß: Es ist alles so weit erledigt: Frühstück, die Checks. Ich bin fertig, brauche jetzt nur noch in den Anzug zu steigen und dann eine Stunde Sauerstoff zu atmen. Mehr kann ich nun nicht mehr machen. Nervös rumlaufen bringt auch nichts. Das war bei meinen Base-Sprüngen auch so: Wenn alles vorbereitet war, konnte ich davor noch mal richtig tief schlafen, und wenn es nur eine halbe Stunde war. Es gibt nichts mehr zu tun, also fährt der Körper runter und ruht.
    Eine halbe Stunde später kommt Andy rein: »Es geht los.« Raus aus der Wohn-, Schlaf- und Badezimmersektion des Trailers, nach nebenan in die heruntergekühlte Gear-up-Area, wo ich den Anzug angezogen bekomme und 100 Prozent reinen Sauerstoff atme. Das ist ein fast steriler Raum. Alle bis auf Mike Todd und mich bleiben jetzt draußen, denn wenn Mike beim Anziehen abgelenkt wird, vergisst er womöglich, einen Verschluss zu schließen oder ein Kabel anzustecken, und das könnte tödlich enden.
    Fast eine Stunde dauert die Prozedur: zuerst der Anzug, dann die Schuhe, dann die Handschuhe, dann der Helm, danach der Dichtheits-Check. Mike redet wenig bei alldem. Da wird auch nicht geflachst oder geblödelt. Mike macht keine Sprüche. In der Freizeit schon, aber das hier ist jetzt Business. Er ist genauso angespannt wie ich und hat genauso wenig geschlafen. Er ist nervös, weil er weiß, dass mein Leben auch in seiner Hand liegt. Er ist 74, ein altgedienter Air-Force-Mann, der so ziemlich alles, was in Amerika Luft- und Raumfahrtgeschichte geschrieben hat, begleitet hat. Zum Schluss die Handschuhe. Wie beim Boxkampf. Draußen wartet der Feind, in diesem Fall der Weltraum, die Zuschauer sind auch schon da, auf den Rängen und vorm Fernsehen, irgendwann geht der Athlet raus,

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