Himmelssturz
Du musst hier nicht sofort wieder verschwinden – ich kann mir jederzeit irgendwelche Untersuchungen ausdenken, die ich noch mit dir durchführen muss.«
»Danke«, sagte Bella und drückte seine Hand.
Simmons trat vom Bett zurück, als Bella näher kam. Sie bemerkte, dass etwas um ihren Hals lag, eine Ansammlung von Kunststoffstücken in Primärfarben, die an einer Nylonschnur aufgefädelt waren. Sie flüsterte Axford etwas zu, dann verließen die Mediziner den Raum, sodass Bella mit Chisholm allein war.
Anfangs sah es aus, als wäre der Patient komatös oder geistig abwesend und würde sie gar nicht wahrnehmen. Er starrte geradeaus auf einen Punkt an der Decke. Sie trat ans Bett und wollte ihn ansprechen, als er den Kopf um ein paar Grad in ihre Richtung drehte.
»Bella«, sagte er. »Schön, dass du gekommen bist.«
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Er tastete nach der Lesebrille, die an einer elastischen Schnur um seinen Hals hing. »Hat man dich gut behandelt?«
Sie fragte sich, wie viel er wusste. Sie überlegte, ob sie ihren Besuch bei Schrope erwähnen sollte, entschied sich aber dagegen. Schließlich konnte man nicht behaupten, dass zwischen ihnen eine Kommunikation stattgefunden hatte.
»Ich habe nur mit Parry und Ryan gesprochen. Beide haben mich schon immer sehr freundlich behandelt.«
»Das ist gut.« Er nickte, was ihn zweifellos viel Kraft kostete. »Parry und Ryan sind gute Leute. Wir brauchen mehr von ihrer Art.«
»Ich glaube, wir haben hier sehr viele gute Leute«, sagte Bella. »Dafür spricht schon die Tatsache, dass diese Siedlung überhaupt existiert, dass sie es geschafft haben, alles am Laufen zu halten …«
»Das ist eine großartige Leistung«, sagte Chisholm. »Hat man dir von den Arbeiten im Schlund erzählt?«
»Ich hätte gerne meinen Teil dazu beigetragen«, sagte Bella. »Ich falle der Siedlung mehr zur Last als alle anderen.
Sie sperrt mich weg wie ein Paar alte Schuhe, das sie nie wiedersehen will.«
»Ich habe mehrfach betont, wie sinnvoll es wäre, dich in die Gemeinschaft zurückzuholen. Man müsste dir keine Macht oder einen offiziellen Posten geben. Es wäre schon etwas, wenn du einfach nur als Beraterin tätig werden könntest. Aber sie will nichts davon hören.«
»Wir müssen zusammenhalten – jetzt mehr als je zuvor.«
»Das habe ich auch zu ihr gesagt. Das Schlimmste ist, dass sie es vermutlich sogar einsieht. Sie mag sehr stolz sein, aber sie war niemals dumm.«
»Nein«, pflichtete Bella ihm wehmütig bei. »Das war sie nie.«
Chisholm starrte wieder eine ganze Weile an die Decke, als würde er sich im Mosaik der angeschlagenen und verfärbten Kacheln verlieren. »Ich glaube weiter daran, dass du für uns wichtig bist«, sagte er. »Deshalb wollte ich mit dir reden. Ich vermute, Ryan hat dir erzählt, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Über einen längeren Zeitraum hatte ich nur Kopfschmerzen, einen Druck hinter den Augen. Jetzt ist es ein anderes Gefühl … als würde ich in einen anderen Raum wechseln. Ich habe sehr seltsame Erinnerungsblitze, sehr ungewöhnliche Träume … manchmal sogar, wenn ich hellwach bin. Alles fühlt sich jetzt viel intensiver an. Ich kann mir eine dieser Kacheln ansehen und erkenne darin die Unendlichkeit. Ich habe Mingus schon immer gemocht, aber nun höre ich Dinge in seiner Musik, die ich mir nie erträumt hätte. Vorher war sie ein See, aber jetzt ist sie ein Ozean – tief, geheimnisvoll, wunderbar. Ich könnte ewig in Mingus herumschwimmen.«
Bella sah sich die Bilder seines Gehirns an. »Hilft es dir, wenn du das siehst? Oder ist es meinetwegen?«
»Nein, das würde ich dir nicht antun. Ich sehe es mir gerne an.« Er schien etwas in ihrem Gesicht bemerkt zu haben, vielleicht ein unbedachtes Zucken des Widerwillens. »Es ist mein Drache, Bella. Ich habe das Recht, ihm in die Augen zu blicken.«
»Natürlich«, sagte sie kleinlaut.
»Er wird mich töten. Ryan sagt, dass es schon bald geschehen wird … nur noch Wochen. Vorher werden sie mich einfrieren. Meine Zustimmung habe ich bereits erteilt. Ich werde zu einem Frostengel, genauso wie Mike Takahashi. Wenn die Krämpfe Überhand nehmen, soll er mich kaltmachen.«
Bella nickte. Mehr konnte sie nicht tun.
»Du glaubst wahrscheinlich, dass es ohnehin keine Rolle spielt«, sagte Chisholm. »Tot ist tot, ob man mich einfriert oder zu Asche verbrennt.«
»Sag so etwas nicht«, erwiderte sie. »Wenn Ryan dich einfriert, kriegen wir dich vielleicht
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