Himmelssturz
daran vorbei«, wiederholte Shen mit Entschiedenheit. Wie üblich wirkte sie reifer, als ihre Lebensjahre vermuten ließen, wie die ältere Schwester, die Bella nie gehabt hatte. »Wir werden es bis zum bitteren Ende durchziehen«, fügte sie hinzu. »Ich glaube, dass es gut für uns sein wird, um endlich über all das hinwegzukommen.«
Inzwischen gab es viele, die wie Liz waren – Kinder von Janus, die unaufhaltsam ins Erwachsenenleben drängten, von denen viele schon eigene Kinder hatten. Die Erde bedeutete ihnen nichts. Sie war nicht mehr als ein fernes, exotisches, leicht verblüffendes fremdes Land – ähnlich wie Japan oder China in Bellas jungen Jahren. Sie übernahmen gerne, was die Erde ihnen zu bieten hatte – Mode, Musik, Kleidung und Luxusgüter –, aber sie verspürten nicht den unbändigen Wunsch, sie tatsächlich zu besuchen. Falls Shen und ihre Generation einmal nostalgisch wurden, dann ging es um die Version von Janus, an die sie sich aus ihrer Jugendzeit erinnerten, mit dem trügerisch einfachen Leben, dessen Härten bald vergessen waren.
In den zwanzig Jahren, seit sich die Perückenköpfe durch den Himmel gebohrt hatten, war vieles besser geworden. Nach monatelangen schwierigen Verhandlungen hatte man den Aliens erlaubt, Energiewurzeln in die leuchtenden Gewölbe unter der Oberfläche von Janus zu versenken. Im Gegenzug hatten die Perückenköpfe den Menschen Zugang zu Techniken, Artefakten und Daten gewährt, die die Aliens bei früheren Kontakten mit Menschen gesammelt hatten. Nichts davon kam aus einer Zeit, die nach 2135 lag – nach der »Zäsur«, wie man sie inzwischen nannte. Doch damit hatten sie immer noch fast achtzig Jahre technischen Fortschritt nachzuholen. Da sie die Menschen nicht überfordern wollten, hatten die Perückenköpfe ihnen die Wunder nur tröpfchenweise verabreicht, als Gegenleistung für immer größere Zugangsrechte zu Janus.
Liz Shen war ein Paradebeispiel, wie gut diese Lektionen in das normale Leben auf Janus integriert worden waren. Den Flextop hatte sie nur Bella zuliebe dabei. Diese Geräte betrachtete sie mit der gleichen schaurigen Verachtung, die Bella für eine dampfbetriebene Schreibmaschine empfunden haben mochte. Liz Shens Computeraufgaben wurden von ihrer Kleidung und der Schwellen-Intelligenz in ihrem minimalistisch gestalteten Schmuck erledigt. Die wenige Energie, die diese Systeme benötigten, gewannen sie aus ihren Körperbewegungen. Den Datenaustausch mit ihrer Umwelt erledigten die Computertextilien über unterschwellige Änderungen im Farbmuster, die viel zu schnell stattfanden, um vom menschlichen Auge wahrgenommen zu werden. Auch in der scheinbar ruhigen Umgebung flackerten hektische Datenmuster unterhalb der Wahrnehmungsgrenze.
Die Kleidung war so geschickt darin, Shens Bewegungsintentionen zu erkennen, dass sie eine Geste nur selten zu Ende führen musste. In den Fasern steckten Supraleiter, die problemlos die myoelektrischen Feldimpulse ihres Nervensystems empfingen. Wenn sie beschäftigt war, vibrierten Shens Muskeln wie bei einer Schüttellähmung, wie bei jemandem, der einer leichten Elektroschocktherapie unterzogen wurde. Ihre Muskeln hatten die Straffheit und Härte einer Ballerina. Auch wenn es merkwürdig aussah, gab es heutzutage überall Leute, die wie Shen waren. Bella und die anderen aus der alten Zeit galten als wunderlich, weil sie sich nicht von ihren Flextops trennen wollten.
Bella hatte mitzuhalten versucht, aber als die Perückenköpfe kamen, war sie achtundsechzig Jahre alt und schon zu eingefahren gewesen. Nun war sie zwanzig Jahre älter. Es gab viele, die wie sie waren – Menschen, die in der Vergangenheit feststeckten, sich wie Gespenster aus einer verschwundenen Epoche kleideten und alle Neuerungen mit verwirrtem Blinzeln beobachteten.
Shen zog ihre Sonnenbrille herunter, und für einen kurzen Moment verarbeitete sie mit zuckenden Bewegungen Daten. »Wir nähern uns Underhole«, sagte sie. »Vor ein paar Stunden hatten wir ein Sicherheitsproblem, aber jetzt ist alles wieder normal.«
Bella gab ihr den Bericht zum Bagley-Fall zurück. »Du solltest diese Dokumente vorläufig wieder an dich nehmen. Wenn sie Abschnitt drei wasserdicht machen können, müsste es klappen.«
»Du wirst Ash Murray vorladen müssen«, sagte Shen. »Ich kann den entsprechenden Antrag vorbereiten, wenn du möchtest. Aber es wird ihm nicht gefallen.«
»Natürlich wird es ihm nicht gefallen. Ich habe das Gefühl, dass er erwartet
Weitere Kostenlose Bücher