Himmelssturz
…«
»Vielleicht ist sie alles, was wir haben.«
Bella stand vor dem Gedächtniswürfel im gesicherten Labor unter Crabtree. Es kam ihr vor, als wäre es schon viele Monate her, seit sie ihn zum ersten Mal berührt hatte. Nachdem Chromis in ihren Kopf eingedrungen war, hatte es für sie keinen Grund gegeben, das Labor ein weiteres Mal zu besuchen. Sie hatte angeordnet, dass die Untersuchungen eingestellt wurden, und die Wissenschaftler auf andere Projekte verteilt. Die Analyseinstrumente waren fortgeschafft worden, der Würfel rotierte nicht mehr auf der Inspektionsplattform. Jetzt hatte er keinen Reiz mehr, sie empfand nicht mehr das Bedürfnis, ihn zu berühren. Er wirkte nicht lebendiger oder zielstrebiger als ein geschnittener und polierter Brocken Kohle.
»Ich habe mich immer gefragt«, sagte Bella, als sie mit Chromis und Axford vor der Seite mit dem gravierten Da-Vinci-Motiv stand, »was denn geschehen wäre, wenn ich nicht mehr am Leben gewesen wäre. Wenn der Würfel darauf programmiert war, ausschließlich auf meine DNS zu reagieren …«
»Ach, das wäre kein besonderes Problem gewesen«, tat Chromis ihre Bemerkung ab. »Offen gesagt, haben wir die Wahrscheinlichkeit, dass du den Würfel finden würdest, kaum höher als null eingeschätzt. Wir sind immer davon ausgegangen, dass eher einer deiner fernen Nachkommen darauf stoßen würde.«
»Aber niemand konnte wissen, ob ich meine DNS weitergeben würde. Was hätte der Würfel den Menschen genützt, wenn sie keine Möglichkeit gehabt hätten, ihn zu öffnen?«
»Wir dachten, dass es für sie kein Hindernis wäre. Wir gingen davon aus, dass sie eine Blutprobe oder zumindest die DNS-Sequenzen in deinem Angedenken aufbewahren würden. Es wäre kein großer Aufwand gewesen, ein Fragment von dir zu erhalten, für den Fall, dass es irgendwann wieder benötigt würde.«
»Hätte sich der Würfel dadurch täuschen lassen?«
»Das wäre nicht das Problem gewesen«, sagte Chromis. »Der Würfel sollte entscheiden, ob er in sichere Hände gelangt ist oder nicht. Wenn er etwas entdeckt hätte, das deiner DNS entspricht, hätte ihm das genügt.«
Bella dachte darüber nach. »Und was wäre, wenn sie meine DNS nicht konserviert hätten?«
Axford beobachtete sie, zugleich amüsiert und fasziniert vom einseitigen Gespräch.
»Es wären immer noch deine Nachkommen gewesen. Mit den richtigen Methoden hätten sie deine Sequenz rekonstruieren können.«
»Ich habe aber keine Kinder.«
»Noch ist Zeit«, sagte Chromis. »Aber selbst wenn du kinderlos bleibst, würde deinen Leuten sehr viel an dir liegen, Bella. Sie hätten etwas von dir aufbewahrt, glaube mir. Schau uns an! Schließlich haben auch wir es geschafft, eine Probe zu finden.«
»Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt …«
»Es war schwierig«, gab Chromis zu. »Deine DNS-Sequenz musste zum Zeitpunkt deines Abflugs an vielen Stellen gespeichert gewesen sein, in medizinischen Datenbanken, bei Versicherungen und so weiter. Doch als der Kongress des Lindblad-Rings den Beschluss des Jubiläumsprojekts fasste, waren diese Quellen schon lange nicht mehr verfügbar. Also mussten wir etwas … erfindungsreicher sein.«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Wir haben auf dem Sinai Planum auf dem Mars Ausgrabungen durchgeführt. Wo dein Mann starb.«
»Garrison?«, sagte sie erstaunt. »Aber das Wrack wurde nie gefunden.«
Chromis konnte sich eine gewisse Selbstzufriedenheit nicht verkneifen. »Wir haben es gefunden. Es lag tiefer als bis dahin vermutet, das war alles. Und es war über eine größere Fläche verstreut, als man erwartet hatte. Als wir Garrisons Überreste fanden, hatten sie für die Dauer zweier vollständiger Terraformungszyklen im marsianischen Boden gelegen. Doch es war noch genug von ihm übrig, um damit arbeiten zu können.«
»Aber ich bin nicht Garrison«, sagte sie.
»Nein, aber du hast ihm eine Locke deines Haars geschenkt. Sie war immer noch da, Bella. Er hat sie in seinem Anzug bei sich getragen. Sie lag in seiner Hand, sicher im Handschuh verwahrt. Sie hat all die Jahre überlebt und auf uns gewartet.«
»Mein Gott!«
»Er hat sich gut um deine Locke gekümmert, Bella. Er muss dich sehr geliebt haben.«
Später beobachtete sie, wie die Botschaft der Perückenköpfe in hundert gläserne Scherben zerbrach. Das erinnerte sie an eine Schule glitzernder Fische, die bei der Annäherung eines Räubers explosionsartig auseinanderstob. Die Scherben ordneten sich zu lockeren,
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