Himmelssturz
Nase, bis er Vernunft annimmt.«
Bella empfand keine Genugtuung, weil sie recht behielt. Viel lieber wäre es ihr gewesen, wenn die Shenzhou Fünf mit eingezogenem Schwanz abgedreht hätte, doch in den nächsten sechs Stunden blieb das Schiff mit sauber und gleichmäßig brennendem Fusionstriebwerk exakt auf Kurs.
Während der letzten Annäherungsphase steuerte sich der Flugroboter bis auf hundert Kilometer an das chinesische Schiff heran – nahe genug, um Eindruck zu machen, aber keine ernsten Schäden zu verursachen, wie Bella inständig hoffte.
Die DUE erblühte wie eine Blume im Weltraum. Der stecknadelkopfgroße Punkt aus grellblauem Licht war über die dreihunderttausend Kilometer gut sichtbar – ein böser neuer Stern, der nichts am Himmel zu suchen hatte. Dann erlosch der nukleare Blitz, und das Transpondersignal der Shenzhou Fünf tickte unbeirrt wie ein Pulsar weiter.
»Der Mistkerl hat nicht mal geblinzelt«, sagte Schrope. Sie verfolgten das Geschehen in Bellas Büro.
»Er ist tapfer, Craig. Jeder, der sich so weit nach draußen wagt, hat meinen tiefsten Respekt, ganz gleich, welche Flagge er sich an die Wand hängt.«
»Trotzdem hast du ihm ein Versprechen gegeben. Ich habe den zweiten Flugroboter auf einen näheren Abfangpunkt programmiert. Einhundert Kilometer scheinen nicht allzu viel Eindruck gemacht zu haben. Wie klingen fünfzig?«
»Sei vorsichtig«, sagte sie. »Wir wollen sie nur verscheuchen, mehr nicht.«
»Fünfzig ist immer noch weit genug entfernt. Wang ist wahrscheinlich schwer von uns enttäuscht. Wir wollen ihm etwas geben, das ihn zum Grübeln bringt.«
Bella wartete noch fünf Minuten, um zu sehen, ob die Detonation die Shenzhou Fünf zur einer verspäteten Reaktion veranlasst hatte, aber es hatte sich nichts am Kurs geändert. Es war, als hätte man den Warnschuss gar nicht bemerkt. Am liebsten hätte sie eine zweite Warnbotschaft geschickt – jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie das freundliche Gesicht des jungen chinesischen Captains vor sich –, aber sie hatte ihm unmissverständlich gesagt, dass es keine zweite Chance geben würde.
Sie befahl Nadis, den zweiten Schuss abzufeuern.
»Tötungsdistanz fünfzig«, sagte Nadis, als der Roboter davonraste.
»Der Schuss soll nicht töten«, sagte Bella eindringlich, »sondern nur überzeugen. Dass mir das niemand vergisst!«
Bella war außer Dienst. Sie hätte die Stunden nutzen sollen, etwas Schlaf nachzuholen, aber die bloße Vorstellung war grotesk. Sie trainierte auf ihrem Standfahrrad, bis die Erschöpfung sie wie eine harte Mauer traf, dann kämpfte sie sich weiter in den klaren Bereich jenseits der Erschöpfung vor.
Sie versuchte, nicht an Svetlana zu denken, weil dadurch alles nur schlimmer wurde. Aber obwohl die Chinesen ihre gesamte Aufmerksamkeit beanspruchten, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu dem zurück, was sie Svieta angetan hatte. Ihrer besten Freundin.
Mit Ryan Axfords Einverständnis hatte Bella veranlasst, dass sie in einem isolierbaren Zimmer der medizinischen Abteilung arrestiert wurde, das normalerweise ansteckenden Fällen vorbehalten war. Axford hatte seinem Personal erklärt, dass Svetlana sich wieder frei bewegen durfte, wenn eine Komplikation – die er nicht näher erläuterte – nach dem Unfall mit den Massentreibern geklärt war. Eine kleine Notlüge, vielleicht nicht einmal eine Lüge, dachte Bella. Sie war fast selber davon überzeugt, dass das Verhalten ihrer Freundin tatsächlich durch den Zwischenfall ausgelöst worden war. Auf diese Weise konnten sie beide das Gesicht wahren. Nirgendwo wurde erwähnt, dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen Bella und ihrer führenden Antriebsingenieurin gab, niemand konnte wissen, dass Svetlana bis zur Rückkehr der Rockhopper ihres Postens enthoben war. Danach konnte die Angelegenheit mit angemessener Diskretion geklärt werden.
Bella verstand, dass Svetlana sich verletzt und zu Unrecht bestraft fühlte – was letztlich für sie beide galt. Doch ein Eingeständnis dieser Tatsache würde sie einer Versöhnung kein Stück näherbringen. Im Augenblick hätte sie es auch gar nicht gewollt. Svetlana hatte sie in eine extrem schwierige Situation gebracht, und Bella hatte versucht, rücksichtsvoll mit der Angelegenheit umzugehen, trotz des großen Drucks, dem sie ausgesetzt war. Doch Svetlana war nicht in der Lage gewesen, das einzusehen. Sie hatte nur ihren verletzten Stolz gesehen. Wie konnte Bella es wagen, ihre Warnungen nicht
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