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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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abgelegenes Haus zu besuchen. Aber wenn Max dort war? Sein Bruder war launisch. Er konnte schnell seine Meinung ändern und wieder verschwinden. Wenn er wirklich bereit war, noch einen Zwillingstausch zu machen, musste er sich beeilen.

 
    45  Daniel trat in die Pedale, dass der Schweiß nur so lief, und legte sich über den Lenker des Mountainbikes aus der Klinik. In schnellem Tempo fuhr er am Aussätzigenfriedhof mit den schiefen Kreuzen vorbei, am Waldweg, der zu Toms Hütte führte, und an einer Brücke, die den Fluss da überquerte, wo er den Berg herabrauschte.
    Er war jetzt im westlichen wilden Teil des Tals, wo die Einsiedler wohnten und wohin man sich auf eigene Gefahr begab. Die Hostessen patrouillierten hier nie mit ihren kleinen Elektroautos. Hier waren bewaffnete Wachen in Patrouillenautos unterwegs.
    Daniel wusste ungefähr, wo Adrian Kellers Haus lag. Bei einem waghalsigen Ausflug hatte Corinne ihm den schmalen Weg gezeigt, der zu seinem Haus führte, und ihn gewarnt, da hinzugehen. Sie hatte ihm auch die beiden großen Häuser gezeigt, die oben auf dem Abhang thronten. Das obere, größere gehörte Kowalski. Das darunter gehörte Sørensen. Zu den beiden Häusern gehörten Garagen. Kowalski und Sørensen hatten nämlich beide ein Auto. Einen PKW . Sonst hatte kein Bewohner von Himmelstal ein eigenes Auto. Fahrräder und Mopeds waren die üblichen Fahrzeuge. Die meisten besaßen überhaupt kein Fahrzeug, sondern liehen sich ein Fahrrad, wenn sie es brauchten. Autos waren dem Personal vorbehalten.
    Daniel blieb da stehen, wo der Weg zu Kellers Haus abbog, und rief die Nummer an, die er bekommen hatte. Keine Antwort. Ob sie wohl schliefen? Es war kurz nach neun.
    Max war heute Nacht offenbar lange wach gewesen, denn er hatte ihn mitten in der Nacht angerufen, und Keller war in der Morgendämmerung mit den Falken unterwegs gewesen. Sie waren vielleicht müde.
    Falls Max Kellers Hütte verlassen haben sollte, um zur Klinik zurückzugehen, hätte Daniel ihn gesehen. Wenn er nicht den kleinen Pfad genommen hatte, der ganz oben am Abhang entlangführte. Aber warum hätte er das tun sollen? Schließlich hatte er Daniel gebeten, zu Kellers Hütte zu kommen. Er hätte wohl angerufen, wenn sich etwas geändert hätte. Allerdings konnte man bei Max nie sicher sein.
    Er steckte das Handy in die Tasche und fuhr mit dem Fahrrad den steilen, kurvigen Weg zu Adrian Kellers Haus hinauf.
    Der Tag, der so klar und frostglitzernd begonnen hatte, war nun grau geworden. Vorhänge von Nebelregen zogen durch das Tal und machten seine Kleider feucht.
    Er stieg vom Rad und blieb in dreißig Metern Abstand stehen. Vor dem Haus stand Kowalskis schwarzer Mercedes. Adrian Kellers Ruf als Einsiedler schien etwas übertrieben zu sein.
    In einem großen Gehege saßen die Falken in toten Bäumen und schrien schrill und wehmütig in den Nebel hinaus. Vielleicht hatten ihre Schreie auf ihn aufmerksam gemacht, denn während er noch dastand und überlegte, ob er näher herangehen oder umkehren sollte, wurde plötzlich die Tür geöffnet, und Adrian Keller schaute heraus.
    Daniel schob das Rad vor sich her. Er achtete darauf, in der Mitte des Wegs zu bleiben.
    »Ist mein Bruder hier? Er hat angerufen und gesagt, er sei hier bei dir«, rief er.
    Keller antwortete nicht, machte jedoch eine Handbewegung, dass er hereinkommen solle.
    Daniel zögerte. Dann ging er zum Haus, lehnte das Rad ans Treppengeländer und ging die Treppe hoch zu Adrian Keller.
    Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an die Dun
kelheit im Haus gewöhnt hatten, die Fensterläden waren geschlossen. Anders als die meisten Häuser im Dorf war dieses Haus kein auf alt getrimmter Neubau. Es schien wirklich alt zu sein und hatte vermutlich schon vor der Zeit des Himmelstal-Projektes hier gestanden.
    An einem Tisch unter einer tief hängenden Lampe saßen Kowalski und Sørensen. Vor ihnen Plastiktüten mit einem weißen Pulver und eine Waage. Sørensen schaute auf.
    »So so, hast du es so eilig, dass du herkommen musst.«
    »Ich habe eine Mitteilung von meinem Bruder bekommen. Er sagte, er sei hier«, sagte Daniel mit zittriger Stimme.
    Sørensen schaute zuerst Kowalski und dann Keller an.
    »Was meint er?«
    Keller zuckte mit den Schultern.
    Als Daniel nach rechts schaute, entdeckte er einen großen, quer aufgehängten Wandspiegel, der das ganze Zimmer wie ein Gemälde wiedergab. Er konnte sie alle im goldgerahmten Spiegel sehen: Kowalski und Sørensen im engen Lichtkreis

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