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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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der Lampe, Keller wie eine undeutliche Figur im Dunkeln und sich selbst, wie er ganz wild aus dem Zentrum des Bildes herausstarrte, rot im Gesicht und verschwitzt vom Radfahren. Die Szene erinnerte ihn an ein holländisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert, mit dem die Menschen in einem schicksalhaften Moment eingefangen worden waren und jedes Detail mit Bedeutung aufgeladen war.
    Kowalski schob seine Brille, die er auf der Stirn gehabt hatte, zurecht, legte ein gefaltetes Stück Papier auf die Waage und schüttete Pulver aus einer der Tüten darauf. Er schaute konzentriert durch die Brille, überprüfte die Anzeige auf der Waage und schüttete vorsichtig noch et
was dazu. Der Stein in seinem Ring reflektierte rot funkelnd das Licht der Lampe.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest, aber du musst auf jeden Fall warten«, sagte er ruhig. »Wir sind noch nicht fertig.«
    Er öffnete eine kleine selbstschließende Plastiktüte, schüttete sorgsam das abgewogene Pulver hinein und verschloss die Tüte. Daniel verstand, dass dies die morgendliche Tauben- und Falkenlieferung war, die jetzt zum Verkauf portioniert wurde. Er hätte das nicht sehen dürfen. Aber nun war es zu spät.
    »Wie viel willst du denn?«, fragte Sørensen.
    »Ich will überhaupt nichts. Wenn mein Bruder nicht hier ist, dann gehe ich wieder.«
    Falsche Antwort.
    Kowalski hob die Augenbrauen, beugte sich über den Tisch und sagte mit aufrichtiger Neugier:
    »Was willst du eigentlich?«
    Nach Max zu fragen war ein Fehler. Daniel musste die Taktik ändern.
    »Was kostet es?«, sagte er und holte den Geldbeutel heraus.
    »Was denn?«, fragte Kowalski in freundlichem Ton.
    »Das da«, sagte Daniel und zeigte auf den Tisch.
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Hier gibt es nichts.«
    Kowalski hatte die Tüte auf den Tisch gelegt und die Brille wieder auf die Stirn geschoben. Sørensen grinste und massierte seine Schulter.
    »Oder siehst du etwas?«
    Wieder falsch. Daniel schüttelte den Kopf und steckte den Geldbeutel ein.
    »Kokain? Hast du das gemeint?«
    Daniel drehte den Kopf, um die weißen Tüten nicht mehr sehen zu müssen, und schaute wieder in das Spiegel
bild des Zimmers. Die Männer mit ihrer Waage, er selbst in der Mitte und Keller in seiner Ecke.
    Aber es gab eine Veränderung zum vorigen Bild: Keller hatte jetzt ein großes Jagdmesser in der Hand. Es hing schlaff nach unten, es sah nicht bedrohlich aus. Vielleicht hatte er das Messer schon die ganze Zeit in der Hand gehabt, und Daniel hatte es nur nicht bemerkt.
    Kowalski schob die Brille wieder auf die Nase, legte das gefaltete Papier auf die Waage und schüttete sehr konzentriert einen Strahl Pulver aus der Tüte. Die Falken lärmten draußen in ihrer Voliere. Kurze, heisere Schreie voller Angst und Verwirrung.
    »Es könnte ja sein, dass dir irgendwann jemand so etwas verkaufen will«, sagte Kowalski nachdenklich und öffnete eine neue Tüte. »Aber ich habe keine Ahnung, was es kostet.«
    »Nein«, murmelte Daniel.
    »Und es kommt ganz bestimmt nicht von hier.«
    Kowalski schaute ihn über den Rand der Brille an, streng und ernst wie ein alter Lehrer.
    »Nein, nein«, wiederholte Daniel.
    Dann glaubte er, von irgendwo ein Lachen zu hören. Oder war es Weinen? Das mussten die Falken sein. Aber das Geräusch kam nicht aus der Voliere. Es schien eher aus dem Haus zu kommen, irgendwie rechts von ihm, nahe, aber doch gedämpft. Wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte er geglaubt, es käme aus dem Spiegel.
    Sein Blick irrte im Zimmer umher. An einer Stelle der Wand bemerkte er kleine Flecke, als ob eine dunkle Flüssigkeit an die Tapete gespritzt und festgetrocknet wäre.
    »Ich muss gehen«, flüsterte er. »Entschuldigung.«
    Er ging zur Tür. Die Männer am Tisch beobachteten
ihn schweigend. Langsam und vorsichtig ging er an Adrian Keller vorbei, der ganz still dastand und immer noch das Messer in der Hand hielt. Daniel sah das kurze, breite Blatt. Die Situation war unwirklich, er fühlte sich, als würde er schweben.
    Und dann erstarrte er plötzlich. Von draußen hörte man einen Schrei, wie er noch nie einen gehört hatte. Angsterfüllt, herzzerreißend und sehr hoch, als käme er von einem kleinen Geschöpf.
    »Ein Kind!«, keuchte er. Er drehte sich zu den drei Männern im Zimmer um. »Da hat ein Kind geschrien!«
    Die Männer schauten zurück, ohne eine Miene zu verziehen. Es konnte nicht sein, dass sie nichts gehört hatten. Adrian Kellers Augen leuchteten wie kleine

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