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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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    „Hast du mit ihm gesprochen? Bestimmt ist er völlig verwirrt.“
    Jerome ging darauf nicht direkt ein.
    „Er wird in der Gruft am Rand des Sees aufwachen und glauben, dass er Glück gehabt hat und nicht ertrunken ist. Alles nicht der Rede wert.“
    Jerome spielte die Sache zu sehr herunter. Ich wusste nicht, wie ich weiter bohren sollte, ohne dass es auffällig wirkte. Meine Konzentration ließ nach. Der Erdhügel zerstob in alle Richtungen.
    „Okay, Pause“, entschied Jerome, stand auf und reichte mir eine Büchse Cola mit Strohhalm aus seinem Rucksack. Wir setzten uns an die Böschung.
     
    „Und Du bist jetzt mit Leo zusammen?“, fragte Jerome mich und trank den letzten Schluck aus seiner Cola. Die Frage kam überraschend direkt. Ich spürte, wie ich rot wurde. Vor allem war ich verwirrt. Jerome hatte mich durch seine ausweichenden Antworten darin bestärkt, dass es sich bei dem Eindringling um Tim handelte. Ja, ich war eigentlich mit Leo zusammen. Aber jetzt war Tim hier. Das änderte alles. Ich brachte kein klares „Ja.“ über die Lippen. Es ging einfach nicht.
    „Wir haben das Tagebuch angesehen“, antwortete ich.
    „So, habt ihr?!“
    „Wir haben darüber diskutiert.“
    „Das ist sehr gut.“
    Jerome sah mich erwartungsvoll an. Ich suchte nach Worten.
    „Gedächtnisse dürfen nicht mehr gelöscht werden. Darin sind wir uns einig.“ Ich zog an meinem Strohhalm und schwieg. Jerome wirkte ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht mehr zu sagen hatte. Aber Atropa und die Ankunft von Tim hatten alles wieder neu in mir gemischt. Um Jerome abzulenken, ließ ich einen circa 3 Kilo schweren Stein vor uns schweben, aber bei einem halben Meter Höhe krachte er plötzlich runter und rollte gegen Jeromes Knöchel. Er verzog leicht das Gesicht.
    „Oh, das tut mir leid, ich bin so müde heute. Die Nacht war lang. Ich kann mich nicht besonders gut konzentrieren.“
    Ich versuchte ein verschämtes Lächeln. Es half. Jerome schien „die lange Nacht“ irgendwie zu beruhigen. Es war augenscheinlich, dass Leo und ich seinen absoluten Segen hatten. Jerome beendete unsere Übungsstunde früher als sonst und ich war froh. Ich konnte es kaum erwarten, zu Ranja zu kommen.
    ***
    Nervös lief ich vor Ranjas Haus auf und ab. Ich war bereits eine halbe Stunde früher da als verabredet. Ranja war noch nicht da. Vielleicht sprach sie gerade mit Tim. Die Vorstellung hatte etwas Beunruhigendes und Tröstliches zugleich. Ranjas Hütte bestand aus massivem Felsstein und wirkte rundum mittelalterlich. Die schwere Holztür war knallrot und die Fensterläden waren tannengrün gestrichen. In den holzvertrebten Fenstern hingen Kräuter, wie es sich für eine klassische Hexe gehörte. Ein fauchendes Geräusch riss mich aus der Betrachtung der Fassade. Vor mir stob eine Wolke aus Qualm und kleinen Flammen heran und schon stand Ranja auf dem Fußabtreter und klopfte sich ein bisschen Ruß von den Kleidern. An der magischen Akademie galt für Studenten wie für Lehrer die Regel eines normal menschlichen Umgangs, damit kein Chaos entstand. Besondere Fähigkeiten durften im alltäglichen Umgang miteinander nicht eingesetzt werden. Schließlich war man hier, um zu lernen, wie man seine Fähigkeiten in der realen Welt gut verbarg. Man war nicht drauf vorbereitet, wenn ein Lehrer oder Dauerbewohner der magischen Welt seine Fähigkeiten dann doch mal einsetzte.
    „Sorry, Kira. Ich musste mich beeilen. Sonst hättest du noch eine Stunde vor der Tür gestanden.“
    Sie schloss die rote Tür mit einem riesigen Schlüssel auf.
    „Komm rein.“
    Ein Kamin, ein großer schwarzer Topf über der Feuerstelle, dicke Holzscheite und eine Bank aus Stein unter dem Fenster. Von innen ließ das Haus ebenfalls keine Hexenwünsche offen.
    „Ja, ja, ich bin altmodisch. Aber ich kann einfach nichts anfangen mit dem modernen Komfort. Er hat keinen Sinn für das Wesentliche. Er kommt nicht auf den Punkt.“
    Sie pustete einmal in die Feuerstelle und schon loderten Flammen hoch. Die Flammen waren blau und brachten das Wasser im Nu zum Kochen. Mit ein paar Superkräften war es natürlich auch einfacher und bequemer als im Mittelalter.
    Ranja pflückte ein paar Kräuter von den Bändern, die kreuz und quer unter der Decke hingen und krümelte sie in zwei kugelige Tassen.
    Dann schaufelte sie mit einer großen Kelle heißes Wasser aus dem Kessel in die Tassen. Sie reichte mir eine.
    „Das ist Lügentee. Lügen ist danach nicht mehr möglich.

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