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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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zeigte. Es war eine Frau, klein und dünn. Sie trug einen zerschlissenen Regenmantel, der ihr viel zu groß war, drehte den Kopf und starrte mich an.
    „Glotz nich so. Hast du kein Zuhause?“
    Ich schüttelte den Kopf. Sie sah mich ungläubig an. Natürlich. Ich sah nicht aus wie jemand, der kein Zuhause hatte. Als ich sie so ansah, kam mir eine spontane Idee.
    „Verarschen kann ick mich selba.“
    Sie lallte ein bisschen.
    „Vaschwinde!“
    Sie richtete sich auf und versuchte, bedrohlich auszusehen.
    Ich blieb ungerührt.
    „Ich möchte mit dir die Jacken tauschen“, erklärte ich.
    Sie machte ein verdattertes Gesicht.
    Ich zog meine Kapuzenjacke aus und hielt sie ihr hin. Meine Jacke war definitiv wärmer als das, was die Frau trug. Mit ihrer viel zu großen Regenjacke dagegen würde mich niemand, der mich kannte, so schnell wieder erkennen.
    „Das ist wärmer. Gib mir deinen Mantel.“
    „Bist du bekloppt?“, fragte sie, aber begann hastig, ihren Mantel auszuziehen. Ihre Hände zitterten, als sie ihn mir hinhielt und gleichzeitig meine Jacke an sich riss.
    „Danke“, sagte ich, warf mir den viel zu großen Mantel über, zog die löchrige Kapuze tief ins Gesicht und fühlte mich schon besser. Nach ein paar Schritten drehte ich mich noch einmal um. Die Pennerin hatte sich auf die Seite gedreht und befühlte den weichen Fließstoff. Ich hatte ein gutes Werk getan und fühlte mich ein wenig besser, obwohl es durch alle Öffnungen des kaputten Mantels mörderisch zog.
    Direkt neben mir hielt ein Nachtbus. Der Fahrer öffnete die Tür. Ich machte ihm Zeichen, dass ich nicht mitfahren wollte. Aber er sagte.
    „Steig schon ein. Kannst `de dich `n bisschen aufwärmen.“
    „Okay“, antwortete ich. Ich stieg ein und setzte mich auf die letzte Bank. Ich war tatsächlich eine Pennerin. Jemand ohne Ausweis und Geld und ausreichend warme Kleidung. Mehr war ich nicht, eine Pennerin, abhängig von einem Geist, dem ich vertrauen musste, dass er sein Versprechen hielt und mich morgen fand.
    Der Bus fuhr die Prenzlauer Allee hoch, nach Hause. Hier irgendwo trieben sie sich herum, suchten mich. Meine Vernunft sagte mir, dass ich sofort wieder aussteigen und umkehren sollte. Aber mein Herz wollte nach Hause. Einfach nur nach Hause und erklären, dass alles nur ein böser Traum gewesen war, ausgelöst durch die Angst vor den Abi-Prüfungen. Die Abi-Prüfungen, unvorstellbar, dass das mal das große Ding gewesen sein sollte. Wenn ich jetzt einfach nur das Abi-Jahr vor mir hätte, wie easy wäre mein Leben. Ich spähte durch die verregnete Fensterscheibe. Wir fuhren an der Kneipe vorbei, in der ich oft heimlich mit Atropa gechattet hatte. Das war es!
    „Halt“, rief ich dem Busfahrer zu, so laut ich konnte, sprang auf und musste mich an einer Stange festklammern, damit ich nicht hinfiel.
    „Ich wohne hier. Würden Sie mich hinauslassen? Bitte ….“
    „Du wohnst hier … so, so.“ Natürlich glaubte er mir nicht. In der besten Gegend des Prenzlauer Bergs. Aber er stoppte seinen Bus trotzdem und öffnete mir die Tür. Ich zog die Kapuze tief in mein Gesicht und hielt sie unter dem Kinn fest zusammen.
    „Danke!“, rief ich dem Busfahrer zu und stieg aus.
     „Viel Glück!“, rief er mir in einem Tonfall hinterher, der nicht viel Hoffnung auf Glück erwartete.
    Der Regen war kräftiger geworden. Ich schaute nach links und rechts. Kein Auto auf der Straße und auch kein Mensch. Eine Straßenuhr zeigte an, dass es kurz vor Mitternacht war. Ich betete, dass die Kneipe noch offen hatte und der Barkeeper, der nie dumme Fragen stellte, wie gewohnt hinter seiner Theke stand.
    Ich huschte hinüber … und hatte Glück. Ich öffnete die schwer gehende Eingangstür und schob den Wintervorhang beiseite. Hinter dem Zapfhahn für Bier sah mir kurz das vertraute, verschlossene, ältliche Gesicht des Betreibers entgegen. Ich nuschelte ein „Hi.“ Er gab ein kaum merkliches Nicken zurück und putzte seelenruhig seine Biergläser weiter. An einem Tisch saß noch ein Pärchen und hinter einem der Monitore ein älterer Mann. Der Platz vor dem zweiten Bildschirm war frei. Ich setzte mich davor, nahm meine Kapuze ab, zog den muffig riechenden Mantel aus und hängte ihn über die Lehne. Der Barkeeper brachte mir eine Apfelschorle. Er hatte mich also wiedererkannt.
    „Ich hab kein Geld mit“, wehrte ich ab.
    „Nächste Mal“, sagte er nur und sah mich dabei kaum an.
    „Danke“, murmelte ich und kam mir so vor, als hätte ich als

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