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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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schrieb mir, dass Tim sie zu einem Tauchwochenende eingeladen hatte. Tauchen war sein Hobby, damit hatte er gleich geprahlt, als er sich am ersten Tag der Klasse vorstellte. Angeblich hatte er Luisa von den bunten Fischen im roten Meer vorgeschwärmt und wollte ihr nun an einem See in Brandenburg „die Basics“ zeigen. Gerade noch hatte ich gedacht, dass ich mit Luisa über alles reden, ihr von Atropa erzählen müsste, aber das war mir nach ihrer Mail schlagartig vergangen. Sollten sie doch, sollten sie absaufen in irgendeinem See. Tauchen würd ich sowieso nie gehen, nicht mal mit Tim - blödes Hobby. So gesehen passte Luisa viel besser zu ihm. Meine Probleme musste ich jetzt allerdings allein lösen. Missmutig klappte ich meinen Laptop zu. Auf einmal fühlte es sich so entseelt an in meinen Händen, einfach nur ein Gerät.
     
    Ich kroch aus dem Bett und ging in mein Bad. Bei dem Versuch, mir Zahnpasta auf die Bürste zu drücken, presste ich aus Versehen eine Schlange ins Waschbecken, die fast einen halben Meter lang war. Wie hatte ich denn das geschafft? Wahrscheinlich war irgendwas mit der Tube nicht in Ordnung. Ich warf sie in den Mülleimer, nahm mit der Zahnbürste etwas von der Pasta aus dem Waschbecken auf und putzte mir die Zähne
    Ich wollte heute am liebsten weder mit Tim noch mit Luisa was zu tun haben. Gleichzeitig interessierte mich brennend, wie Tim sich verhalten würde, wenn er mich wiedersah – ob er mich ignorierte oder mich irgendwie komisch anschaute oder irgendeinen Spruch losließ? Vielleicht würde er sich auch rächen, irgendwas Schlaues zurückgeben. Irgendwie musste er ja auf meine Rede vor ein paar Tagen reagieren. Oder er würde so tun, als wäre nie etwas passiert. Das war bei Tims gelassener Art wohl das Wahrscheinlichste. Vielleicht hatte er inzwischen auch schon mit Luisa darüber gesprochen und die Sache ausgewertet. Das wäre wahrscheinlich das Beste. Dann könnten sie mich einfach zusammen in Ruhe lassen.
     
    Ich schob die Tür zu meinem begehbaren Kleiderschrank auf und schaute hinein wie in die Garderobe einer Fremden. Die „Kleinigkeiten“, die mir Delia immerzu mitbrachte, waren fast alle noch mit Preisschild versehen. Sie kosteten nie unter hundert Euro, aber sie vergaß sie scheinbar in dem Moment, in dem sie in meinem Schrank verschwanden. In Wirklichkeit war dieser Raum mit Kleiderbügeln an Stangen in verschiedener Höhe und unzähligen Fächern und Schubladen völlig überflüssig für mich. Ich hatte zwei Lieblings-Jeans, die ich abwechselnd anzog, zwei paar Chucks und einige dunkle T-Shirts und Pullover. Dafür hätte eine mittelgroße Kommode mit ein paar Schubladen gereicht. Meine zwei Kleider, die ich allerdings niemals in der Schule anziehen würde, das lange bunte und das dunkelrote mit dem grünen Saum, das man über die Hose ziehen konnte, musste ich eh in meiner alten Truhe verschließen, wo sich alles befand, was meine Eltern nichts anging, weil Delia sie sonst weggeschmissen hätte. Delia konnte diese „Hippieaufmachung“ nicht ausstehen.
    Ich streifte mir ein langes schwarzes T-Shirt über. Meine schwarzen Röhrenjeans lagen frisch aus der Wäsche auf der Truhe. Ich stieg hinein, zog sie hoch – und kam gerade mal bis knapp über die Knie. Das gab es doch nicht! War die Hose etwa eingelaufen? Markenjeans vom allerfeinsten, gewaschen von Rosa, unserer Haushaltshilfe. Rosa stammte aus Paris und kannte sich mit Mode und Stoffen genauso gut aus wie Delia.
    Mit schlimmen Vorahnungen trat ich vor den Spiegel, den ich hinter all den Delia-Kleidern versteckt hielt. Ich mochte Spiegel nicht. Ich kam am besten mit mir klar, wenn ich mich nicht zu oft sah. Ich hob den Blick, schaute mich an … und war überrascht.
    Okay, es waren nicht die Hosen, es waren meine Beine. Okay, sie waren immer noch dünn, aber stöckrig konnte man sie jetzt nicht mehr nennen. Noch viel erstaunlicher war jedoch meine Gesamterscheinung. Irgendwie war ich das, aber was ich im Spiegel sah, war wie eine bessere Version von mir. Die goldene Morgenrotsonne, die durch die Lamellen vor dem Fenster herein fiel, verwandelte meine Hautfarbe von kreideweiß in elfenbeinfarben. Und meine Haare. Sie wirkten nicht mehr so stumpfrot, wie alte abgeblätterte Farbe, sondern sie hatten richtig Glanz! Aber am interessantesten waren meine Augen. Eigentlich waren sie mehr grau als grün, aber gerade strahlten sie smaragdfarben, ziemlich intensiv sogar, wenn ich den Kopf hin und her bewegte. Der
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