Himmelstiefe
Krankheit. Auch das machte mir neue Hoffnung, während ich das karge Mahl verschlang. Es waren nur Brote mit Käse und ein bisschen Salami. Ich dachte sehnsüchtig an die Steaks. Zur Not auch roh. Der Bissen, den ich abbekommen hatte, war nicht ganz so lecker gewesen wie gebraten, aber er hatte geschmeckt. Ich spürte trotzdem einen leisen Ekel. Früher hatte ich so gut wie gar kein Fleisch gegessen und jetzt aß ich es sogar roh. Es war abartig. Vielleicht gehörte diese Verirrung der Geschmacksnerven mit zu den Symptomen meines Psychoschadens? Nein, ich war nicht krank. Und Tim glaubte dasselbe. Das machte mich glücklich und gleichzeitig todunglücklich. Ich musste hier weg, sofort! Aber es war unmöglich.
Während ich kaute, sah ich mich ein bisschen um, aber es gab so gut wie nichts, woran der Blick hängenbleiben konnte. Alles war weiß, die Wände, das Bett, der Vorhang vor dem Fenster, sogar der Fußboden. Vielleicht sollte das beruhigend sein. Mich machte es nervös, weil die Umgebung so unnatürlich wirkte wie ein Wartesaal zum Himmel oder so was. Dann entdeckte ich einen Knopf über dem Bett, mit dem man das Personal rufen konnte. Er war rot und dadurch nicht zu verfehlen. Das gab mir ein bisschen Frieden.
Ich begann, meine Situation positiver zu sehen. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, hier zu sein. Vielleicht war ich hier sogar gut aufgehoben, sicher vor den Schatten. Ich konnte jederzeit auf den roten Knopf drücken und jemand würde kommen. Ich bestellte mir noch zwei Brote und bat um doppelten Belag mit Salami. Morgen musste mir Luisa bis ins Detail erzählen, was sie mit Tim gesprochen hatte. Ich wollte wissen, was sie zu dem Teilsatz … bei Leuten, die man liebt inspiriert hatte.
Die Schwester kam, um das Tablett abzuholen. Sie beaufsichtigte mich beim Duschen und Zähneputzen. Immerhin durfte ich alleine auf die Toilette gehen und hinter mir die Tür schließen. Delia hatte mir zum Glück einen Schlafanzug eingesteckt, auch wenn sie Schlafanzüge nicht mochte und mir immer Nachthemden kaufte, die ich nie anzog.
„Wollen Sie die Sachen noch aufheben?“ Sie wies auf die verdreckte und an einem Knie zerrissene Hose und das verkohlte Shirt von Tim.
„Ja, sie gehören mir nicht.“
„Na, ob der Besitzer das noch mal wiederhaben will …“, zweifelt die Schwester.
Aber ich blieb dabei. Widerstrebend packte sie beides auf einen großen Wäschewagen. Zurück im Zimmer stellte sie meinen Rucksack neben mich auf einen Stuhl und reichte mir ein kleines Glas mit einer blauen Flüssigkeit.
„Was ist das?“
„Das ist zur Beruhigung und zum besseren Einschlafen.“ Ich schluckte das Zeug runter. Es schmeckte etwas süßlich.
„Und wie geht es nun weiter mit mir?“, erkundigte ich mich bei ihr.
„Morgen werden ein paar Untersuchungen gemacht. Dann gibt es die Diagnose und dann werden wir sehen.“
Sie stand vor mir, als würde sie noch irgendwas wollen. Ich sah sie verständnislos an.
„Na, hinlegen“, befahl sie. Brav legte ich mich hin und kapierte dann erst, wieso. Sie beugte sich über mich und hatte allen Ernstes vor, mich festzuschnallen.
„Nein! Muss das sein?“
„In Ihrem Fall schon.“
„Aber ich …“ Ich merkte, wie mir ganz warm wurde. Ich hatte plötzlich die gruselige Fantasie, ich würde wieder das Bett anzünden und könnte nicht weg.
„Sie werden wunderbar schlafen. Das macht der Drink.“
„Nein, ich habe Angst, dass das Bett wieder brennt und dass ich nicht wegkann.“
Auf diesen Hinweis ging sie nicht ein. Wahrscheinlich hörte sie dauernd solche Dinge. Sie zurrte mir die Beine fest. Ich versuchte mich zu wehren. Sie sah mich streng an:
„Das bringt nichts. Sehen Sie den Piper hier?“ Sie zeigte mir ein Gerät an ihrer Kitteltasche. „Wenn ich den betätige, sind die beiden starken Männer von vorhin da und dann gibt’s ne große Spritze …“
Ich ließ sie gewähren. Ich hatte keine Wahl.
Sie holte die Gurte an meinen Oberarmen hoch.
„Aber wie kann ich dann jemanden rufen, wenn irgendwas ist?“
Der Gurt kurz unter meiner Brust schnappte ein.
„Fühlen Sie mal mit der Hand an der rechten Seite.“
„Tatsächlich, da war auch ein Knopf.“
„Aber nur, wenn WIRKLICH was ist, klar?!“, belehrte sie mich.
Ich nickte. Sie wünschte mir eine Gute Nacht, schaltete das Licht aus und schloss meine Tür von außen ab.
„Nein …Das Licht bitte anlassen!“, rief ich entsetzt hinterher. Aber sie ignorierte mich. Ich lag im Dunkeln.
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