Himmelstiefe
Überfluss auch noch unglücklich verliebt. Bloß kein Selbstmitleid, ermahnte ich mich. Aber warum eigentlich nicht, meldete sich eine innere Gegenstimme. Wenn es genug Gründe dafür gab?! Ich schluchzte noch mehr. Das Klingeln meines Handys in meinem Rucksack schreckte mich aus meinen Gedanken. Wow, Delia hatte daran gedacht, es für mich einzustecken. Ich schaute auf das Display. Luisa. Ich putzte mir die Nase und ging ran.
„Kira, wie geht es dir?“
„Man hat mich eingesperrt.“
„Ich weiß. Es ist besser so. Sie werden dich wieder in Ordnung bringen.“
„Da bin ich mir nicht sicher. Nicht, solange ich nicht bei Atropa war ...“
„Kira, ich glaube nicht, dass das stimmt.“
„Du weißt gar nicht, was inzwischen passiert ist.“
„Du warst bei Tim, ihr seid zusammen.“
„HA, nein. Ich habe seine Bude demoliert und er hat die Polizei gerufen und mich in diese missliche Lage hier gebracht. Aber ich kann ihm ja nicht mal …“
„Er hat nicht die Polizei gerufen. Er hat mich angerufen und erzählt, was passiert ist und dass er sich furchtbare Sorgen um dich macht, er hat mich um Rat gefragt … und dann hab ich die Polizei gerufen.“
„Du???“
„Ja, zu deiner Sicherheit.“
„Aber nein, Luisa, alles ist anders. Ich habe mit Atropa geredet und unten, noch in Tims Hausflur hätten sie mich fast gekriegt. Es sind gruselige Wesen, sie haben Gesichter aus Qualm. Atropa weiß von ihnen und sie hat vorausgesagt, dass man mich in eine Klinik stecken würde, wenn ich nicht aufpasse. Sie hat mit allem recht gehabt.“
„Natürlich hat sie das!“
„Ja!“ rief ich. Begann Luisa endlich zu kapieren, was abging?
Luisa seufzte.
„Kira, begreifst du denn nicht?“
„Was!“
„Sie hat die gleiche Krankheit wie du … “
Ich war sprachlos. Es war, als würde sich ein eindeutig vorhandenes dreidimensionales Bauwerk vor meinen Augen in Luft auflösen. Der Gedanke, dass Atropa und ich vielleicht nur Leidensgenossinnen waren, war mir bisher noch nicht gekommen, aber er war unerträglich überzeugend. Luisa zog mir den Boden unter den Füßen weg … Ich schwieg, wusste einfach nichts zu sagen, fing wieder an zu heulen und schluchzte ins Telefon.
„Die gleiche Krankheit ...“
„Ja … Kira … sieh es mal positiv …“, fuhr Luisa fort und schlug einen tröstlichen Ton an. „Damit kommst du immerhin glimpflich aus der Sache mit Falke raus, du warst „unzurechnungsfähig“. Ich mein, besser als Jugendstrafanstalt oder sowas.“
„Pffff …“, machte ich. Wie beruhigend ! Luisas Pragmatismus war geradezu atemberaubend. Natürlich hatte sie nicht unrecht. Aber als unzurechnungsfähig zu gelten war kein berauschendes Gefühl. Wahrscheinlich war mein Vater deswegen so optimistisch gewesen. Das würde ihm ähnlich sehen. Luisas Theorie klang logisch und hatte mich für einen Moment platt gemacht. Trotzdem rebellierte alles in mir dagegen. Ich war nicht krank! Aber ich konnte Luisa nicht davon überzeugen. Tim hatte ihr erzählt, was passiert war.
„Was ist mit dem Hai?“, fragte ich.
„Dem Hai?... Ach so, er hat überlebt.“ Vor Erleichterung ließ ich meine Hand mit dem Handy in den Schoß sinken. Immerhin, ich hatte Tims Haustier nicht umgebracht. Immerhin. Aus dem Lautsprecher wisperte Luisas Stimme:
„Kira?“
„Ja?“
„Ich komm dich morgen besuchen, okay?!“
In der Tür zu meinem Zimmer drehte sich der Schlüssel. Dann stand die Schwester mit einem Tablett vor mir. Sie stellte es ab und zeigte auf mein Handy.
„Das musst du erst mal abgeben, so lange bis der Doc es wieder erlaubt.“
„Die nehmen mir jetzt mein Handy weg, Luisa. Aber noch eine Frage.“
„Ja?!“
Die Schwester machte eine ungeduldige Geste und streckte die Hand bereits nach meinem Gerät aus.
„Hat Tim noch irgendwas gesagt, ich mein … wegen ihm und mir ...“
Die Schwester verdrehte die Augen und sortierte das Essen vom Tablett auf den Tisch.
„Nein, nur dass er nicht sicher ist, ob du wirklich krank bist … Naja, du hast mir ja den Hintergrund mit seiner Mutter erzählt ... natürlich will er sowas nicht wahrhaben, dass will man nicht bei Leuten, die man liebt …“
„Bis Morgen!“ sagte ich noch schnell, dann verschwand das Handy in der Kitteltasche und ich wurde wieder eingeschlossen.
… bei Leuten, die man liebt . Diesen Satz ließ ich in meinem Kopf immer wieder ablaufen, genau so, wie Luisa ihn gesagt hatte. Bei Leuten, die man liebt. Und Tim zweifelte sogar an meiner
Weitere Kostenlose Bücher