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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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in den Eulensee, der ganz zwischen uralten Weiden lag und seinen Namen von den Eulen bekommen hatte, die ringsumher in den hohlen Weidenstämmen hausten. So hatte er und sein Bruder Jen schon in frühesten Tagen zur Nacht den Eulenruf gehört, und da sich nach Meinung der Frösche nun einmal Unheil damit verbindet, so hatte er nie so recht an eine aussichtsreiche Zukunft geglaubt. Sie waren damals noch sehr jung, hatten gerade ihre Beinchen bekommen, besaßen aber noch ihre Schwimmschwänze, mit denen die jungen Frösche sich anfänglich im Wasser fortbewegen. Das war ein Zustand, der ihnen nicht besonders behagte, sie wußten nicht recht, ob sie sich noch zu den Kaulquappen rechnen mußten, oder ob sie schon zu den Fröschen gehörten. Immerhin, der Morgen war strahlend schön, und sie hockten vergnügt am Rand eines Huflattichblatts im sanft fließenden Wasser und betrachteten den Morgenhimmel, der langsam blau wurde. Jen summte leise seinen Frühgesang vor sich hin, leider dachte er sich nicht viel dabei, was er eigentlich hätte tun müssen.
    Gott, der du im Himmel bist,
über allem Leben,
sorge, daß hier Wasser ist
und auch Land daneben.

    Segne unsrer Schenkel Schwung,
sende große Fliegen,
nämlich ohne einen Sprung
kann man sie nicht kriegen.
    Assap nickte behaglich vor sich hin und dachte an die Zeit, in der der Fliegenfang für sie beginnen sollte. O, es mußte eine große Zeit sein! Da schrie plötzlich sein Bruder Jen entsetzt auf und starrte, halb umgewandt, mit einem Ausdruck von großer Bestürzung ins Wasser.
    »Mein Schwanz!« rief er, »er ist ab und schwimmt fort!«
    Assap sah ins Wasser. In der Tat, es ließ sich nicht in Abrede stellen, dort trieb der Schwanz seines Bruders in den Strudeln, drehte sich um sich selbst und entfernte sich langsam immer weiter.
    »Das geht auf keinen Fall«, rief Jen außer sich. »Ich muß ihn wiederhaben, er gehört mir!« Und er machte Miene, sich ins Wasser zu stürzen, um seinem Besitztum nachzuschwimmen; aber Assap, der überhaupt der Besonnenere von den beiden war, hielt ihn zurück und sagte rasch:
    »Denk an die Hechte im Eulensee! Wenn der Bach dich in den See treibt, kannst du sehen, wie du das Ufer ungefressen wieder erreichst. Was willst du denn mit deinem Schwanz tun, wenn du ihn zurückhast?«
    Dem kleinen Jen kamen Tränen in die Augen, es war, als würde er sich dessen für einen Augenblick bewußt, daß dort draußen im Bach seine Kindheit schwamm, die nie mehr zurückkehren sollte. Aber er fühlte sich doch recht getröstet, als sein Bruder mit einem bewundernden Blick sagte:
    »Du siehst aus wie ein richtiger Frosch.«
    Der kleine Jen sah durch seine Tränen in die Flut nieder und versuchte sich im Wasserspiegel an der Stelle zu erkennen, wo sein Schwanz nicht mehr war. In der Tat, er sah ungemein erwachsen aus, abgerundet und fertig.
    »Herrlich«, sagte er, ganz still vor Entzücken. »Hättest du das geglaubt, Assap?«
    »Nun ja,« meinte der Bruder, deutlich ein wenig von Neid geplagt, »etwas Ähnliches mußte wohl eines Tages geschehen, der alte Burr sagte etwas derart, als er einmal von den Mondkonzerten zurückkam. Alle Kaulquappen verlieren ihren Schwanz eines Tages, um Frösche zu werden.« Er sah vor sich nieder und dachte nach.
    Ach, es ist schade, daß ich hier nicht vom alten Burr erzählen kann, es würde zu weit führen, aber er ist einer der erfahrensten Frösche des ganzen Bachs, ja man kann sogar ruhig auch des Sees sagen; leider ist er in seinen Gewohnheiten etwas heruntergekommen, aber ungemein witzig und gescheit. Vielleicht, daß ich in einem anderen Buch sein Leben erzählen kann, es ist außerordentlich abwechslungsreich, und er gehört zu den ganz seltenen Fröschen, die einmal in der Gewalt des Storches gewesen und wieder entronnen sind. Es kam, weil der Storch lachen mußte, man weiß nicht worüber – jedenfalls glaubt Burr noch heute, daß jener es nicht gewagt hätte, einen Mann von seiner Erfahrung als Nahrungsmittel zu verwenden. Von ihm stammt auch das Volkslied, das noch viel im Traulenbach und im Eulenteich von den Fröschen gesungen wird:
    Ach, wie mir das Herz zergeht
unter großem Weh,
wenn der Mond am Himmel steht
und zugleich im See.

    Meine Seele ahnt es dann,
tiefbewegt und still,
daß der Frosch nicht fliegen kann,
auch nicht, wenn er will.
    Auch Assap und Jen kannten dieses Lied bereits, wenn sie auch bisher noch keine Erlaubnis gehabt hatten, es öffentlich mitsingen zu dürfen. Aber in diesem

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