Himmelsvolk
Mädchen, »es ist nur ein brauner, aber er ist hübsch klein und nicht so garstig wie die großen.«
Der Knabe schien zu überlegen. »Ich will ihn jedenfalls mitnehmen,« entschloß er sich, fuhr mit der Hand in das Netz und ergriff Jen, »vielleicht versteht er doch etwas vom Wetter, oder ich kann es ihm beibringen.«
Er hatte Jens Bein erwischt, zog ihn daran empor und hielt ihn gegen den Himmel. Das Mädchen öffnete eine ovale, grüne Büchse, die ihr Bruder, über die Schulter gehängt, bei sich trug. Jen verschwand in der Öffnung wie im Rachen eines grünen Ungeheuers und hörte noch einen ohrenbetäubenden Knall, der wie ein Donnerschlag dröhnte, denn die Büchse mußte rasch wieder zugeschlagen werden, weil noch eine ganze Reihe andere Gefangene darin untergebracht worden war. Dann wurde es dunkel.
Bald merkte er, daß er sich in einem Gefängnis befand, aber zu seinem Entsetzen wurde er gleich darauf gewahr, daß er nicht allein war. Es brummte, surrte und krabbelte rings um ihn her, in einem ganz unbeschreiblichen Durcheinander von Beinen, Flügeln und feuchten und trockenen Leibern. Dabei herrschte ein unerträglich scharfer Geruch von allerhand Kräutern und Blumen, mit denen die Büchse fast bis an den Rand gefüllt war. Das Entsetzen des kleinen Jen war um so nachhaltiger, als beim besten Willen nicht das geringste deutlich zu erkennen war, und wenn man schon einmal von Angst gequält wird, so wird sie durch die Ungewißheit, die die Dunkelheit herbeiführt, meist noch um vieles größer.
Er hörte Klagerufe und tiefes Seufzen und so inniges Bitten um Befreiung, oder wenigstens um etwas Licht, daß ihm Tränen in die Augen kamen, und er empfand, daß um ihn her ein großes Sterben war, wie auf einem Schlachtfeld. Er kannte die Stimmen der Blumen und Pflanzen nicht, aber so viel ließ sich ihrem Seufzen leicht entnehmen, daß sie in großem Elend waren. Dabei stieß und schaukelte die Büchse erbarmungslos, und man war beim besten Willen nicht in der Lage, eine bestimmte Stellung einzunehmen, immer wieder befand man sich plötzlich anderswo.
Einmal kam Jen neben eine Blindschleiche zu liegen in der äußersten Ecke des Gefängnisses. Der Knabe hatte die Büchse abgehängt und ins Gras gelegt, so daß es einen Augenblick still geworden war.
»Mein Gott,« sagte die Schlange zu Jen, »ist Ihnen so etwas schon einmal passiert?«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte Jen, »dies ist ja einfach unfaßlich. Wo sind wir denn, und was soll das alles?«
»Der liebe Himmel weiß es«, seufzte die Schlange und wickelte sich auf. »Aber ich werde schon sehen, daß ich entwische. Über eine solche Behandlung läßt sich überhaupt nicht reden. Wenn man noch giftig wäre, aber so ...«
Über ihnen flüsterte es aus den Blättern hervor.
»Ach, es war hell über den gelben Blumen.«
Es war ein Schmetterling, der mit gebrochenen Flügeln in die Pflanzenstiele eingeklemmt war. Er lag im Sterben und sagte deshalb von nun ab nichts mehr. Eine große Weinbergschnecke, der sehr übel geworden war, weil sie das Schaukeln der Büchse nicht vertragen konnte, sagte schluchzend: »Wenn ich nur mein Haus nicht bei mir hätte, ich würde eine Geschwindigkeit an den Tag legen, die man so leicht nicht wieder bei einem Tier fände.«
Nach einer Weile begann das unangenehme Rütteln von neuem, diesmal in gleichmäßigen, derben Stößen, denn der Knabe hatte sich verspätet und mußte nun laufen, um womöglich noch rechtzeitig zu Hause anzukommen. Dort flog endlich das Gefängnis mit einem donnerartigen Krachen auf den Tisch, und dann wurde es für lange still und blieb unheimlich dunkel, und jedes der gefangenen Tiere versuchte sich darüber klar zu werden, wieviel von seinem Leben noch übrig war.
Jen machte noch eine Reihe angenehmer Bekanntschaften, aber es hatte viel gegen sich, einander im Finstern vorgestellt zu werden, es kamen die peinlichsten Verwechslungen vor, und die Stimmung war allgemein gedrückt. Der einzige, der die Laune nicht verlor, war ein Grashüpfer, immer wieder glaubte er, sich durch einen Sprung aus seiner Gefangenschaft retten zu können, aber jedesmal stieß er aufs neue an und fiel zurück, und man hörte ununterbrochen in kleinen Abständen das Ticken, das entstand, wenn er mit dem Kopf an die Wand stieß. Als er einmal auf eine Eidechse fiel, erregte er Ärgernis bei diesem gutmütigen Tier:
»Geben Sie endlich Ruhe«, sagte sie mürrisch.
»Ich kenne Sie überhaupt nicht«, sagte der
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