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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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Grashüpfer, »reden Sie nicht mit mir, wenn Sie nicht vorgestellt sind.«
    »Dann springen Sie mir auch nicht auf dem Rücken herum, ohne vorgestellt zu sein«, gab die Eidechse ärgerlich zurück.
    »Wenn Sie mich Ihren Buckel herunterrutschen lassen«, rief der Grashüpfer, »so deuten Sie doch damit bereits an, daß Ihnen nichts an meiner Bekanntschaft liegt. Übrigens, wenn Sie springen könnten, täten Sie es auch. Jeder springt, wenn er kann.«
    Die Eidechse seufzte. Es war besser, nicht auch noch Streit anzufangen, sie meinte deshalb nachsichtig:
    »Sie sollten sich die unglückliche Lage, in der wir uns alle befinden, so weit zu Herzen nehmen, daß Sie wenigstens nur bescheidene Äußerungen tun.«
    »Was nützt mir Bescheidenheit, meine Liebe!« rief der Grashüpfer, »ich verlasse mich lieber auf meine Beine, mit ihnen komme ich weiter. Passen Sie auf, sobald die Büchse geöffnet wird, werden Sie sehen, wozu Beine gut sind, wie ich sie habe.«
    Jen hörte aufmerksam zu. »Wie interessant,« dachte er, »einmal vom Charakter der Leute etwas zu erfahren, die man bisher nur gefressen hat. Übrigens werde ich mir die Pläne des Grashüpfers zunutze machen und springen, sobald das Gefängnis geöffnet wird.«
    Dies geschah kurz darauf. Der Knabe hatte die ganze Familie um den Tisch versammelt, auf den er seine Botanisiertrommel gelegt hatte, und war willens, alle seine Lieben an der Freude teilnehmen zu lassen, die seine Beute ihm bereitete.
    Jen war durch den grellen Lichtschein geblendet, der plötzlich in die Nacht des Kerkers drang, er sah anfänglich so gut wie nichts, nur einige Menschenköpfe glaubte er zu unterscheiden, die dicht über den Ausgang gebeugt waren. Er dachte an die Pläne des Grashüpfers und sprang blindlings drauflos, so hoch und weit er konnte. Er landete auf einer harten blanken Platte, und in seiner Verwirrung achtete er nicht darauf, daß sich plötzlich die Hand des Knaben über ihn legte und ihn fest umschloß.
    Die Hand war warm, bebte ein wenig und drückte heftig, aber gleich darauf öffnete sie sich wieder, und Jen fiel zu seiner unaussprechlichen Freude in klares Wasser, auf dessen Grund es von allerlei Pflanzen grün schimmerte. So rasch er konnte, tauchte er unter und verkroch sich, so gut es ging, unter Schilfblättern, etwas erstaunt darüber, daß sich der Boden nicht aufwirbeln und das Wasser nicht trüben ließ.
    Er ahnte nicht, wo er sich befand, noch wußte er, daß er ohne seinen Willen durch seinen voreiligen Sprung zum Erretter eines großen Teils seiner Leidensgefährten geworden war, denn sowohl der Grashüpfer wie ein Teil der übrigen Tiere hatten die allgemeine Aufregung benutzt, um sich davonzumachen. Dies gelang ihnen in der Hauptsache deshalb, weil sich die Erschließung ihres Kerkers gottlob auf der Hausveranda zugetragen hatte, die unmittelbar in den Garten führte.
    Die Zeit verging langsam, und es wurde dämmerig, der Abend sank nieder. Der kleine Jen hatte bald herausgebracht, daß er sich nicht in der Freiheit, sondern in einem engen, runden Käfig befand, dessen Wände durchsichtig wie Wasser waren, aber so hart wie Stein. Er hatte seine Bemühungen aufgegeben, dieser Gefangenschaft zu entrinnen, saß still und traurig an der glatten Wand und sah in die Abenddämmerung, in den Garten hinaus. Einmal war der Deckel seines Käfigs geöffnet worden, und jemand hatte einen Grashüpfer zu ihm ins Wasser geworfen, der nun ruhig, alle Beine weit vom Körper abgespreizt, auf der Oberfläche schwamm. Er war tot. Jen glaubte in ihm seinen Gefährten aus dem ersten Gefängnis wiederzuerkennen, aber er war dessen nicht sicher.
    Glaubt man etwa, ich fräße den? dachte er. Hungrig genug war er, aber kein gesitteter Frosch frißt einen toten Grashüpfer. Ein Grashüpfer, der verschlungen werden soll, muß springlebendig sein, munter und jung. Man muß ihn noch eine ganze Weile im Magen rumoren fühlen, ganz von dem angenehmen Kribbeln zu schweigen, das er verursacht, wenn er den Hals hinuntergleitet.
    Jen war unbeschreiblich traurig. Was sollte werden? Draußen über dem Garten ging der Mond auf und schien in den gläsernen Käfig. Der tote Grashüpfer drehte sich langsam an der Oberfläche des Wassers, und sein Schatten bewegte sich, schaurig anzusehen, grau und groß auf dem Fensterbrett, auf dem der Glaskäfig stand. Dort sah Jen auch seinen eigenen Schatten, rund und plump, wie einen feuchten Fleck zwischen den silbrigen Streifen vom Wasser, vom Glas und vom

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