Himmlische Juwelen
Stadt am Laufen hielt. Und ihr fiel Ezio ein, der gute Ezio, der mit ihrer
Schwester Clara zusammen die Schule besucht hatte und drei Jahre lang – vom
zwölften bis zum fünfzehnten Lebensjahr – in sie verliebt gewesen war und der
sich dann in eine andere verliebt und sie geheiratet hatte; Clara aber war
seine beste Freundin geblieben.
Ezio hatten alle für ebenso klug wie faul gehalten, er hatte nie
nach Erfolg oder Karriere gestrebt: Schon immer wollte er heiraten und viele
Kinder haben, mehr nicht. Die hatte er jetzt, vier, wenn sie sich recht
erinnerte, aber er hatte auch – und deswegen fiel Ezio ihr jetzt ein – einen
Job als Bibliothekar an der Marciana.
Caterina formte die Blätter wieder zu einem Päckchen, verzichtete
aber darauf, es zu verschnüren. Sie legte es in die kleinere Truhe und schloss
die drei Tresorschlösser ab.
Erst dann nahm sie ihr telefonino aus der
Tasche. Ezios Nummer, schon ewig nicht mehr benutzt, war immer noch
gespeichert. Sie wählte, und als er sich meldete, sagte sie: »Ciao, Ezio, sono la Caterina. Volevo chiederti un favore.«
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Caterina bereute nicht, dass sie Manchester kurzerhand den
Rücken gekehrt hatte; schlimm war nur, dass sie ihre Bücher hatte einlagern
müssen, wodurch sie jetzt vollkommen vom Internet und öffentlichen Büchereien
abhängig war. Ezio hatte sie für vier Uhr in die Bibliothek bestellt, sie
konnte sich noch mit einem panino und einem Glas
Wasser stärken – im Stehen in einer Bar, wie früher als Studentin – und
anschließend – wie früher – ein Internetcafé besuchen. Für erste Recherchen zu
Hause am eigenen Computer war die Zeit zu knapp; sie wollte ja auch nur die
wesentlichen Daten zu Steffanis Biographie frisch im Gedächtnis haben, ehe sie
die Bibliothek betrat.
Ihre Großmutter hatte bis an ihr Lebensende ein erstaunlich gutes
Gedächtnis gehabt, und Caterina, hieß es, schlug ganz nach ihr. Während sie
sich über Steffani ins Bild setzte, bestätigte sich das, denn an die meisten Daten
konnte sie sich im Nachhinein wieder erinnern: geboren 1654 in Castelfranco;
seine Begabung zum Sänger und Musiker früh erkannt; seit dem zehnten Lebensjahr
Chorknabe in der Basilica del Santo in Padua. Ein von der Schönheit seiner
Stimme betörter Münchner Adliger nahm ihn mit in seine Heimat, wo Steffani
ungeheuren Erfolg als Komponist und Musiker hatte. Zwei Jahrzehnte später zog
er weiter nach Hannover, wo er erneut Erfolge feierte. Jedoch schien er sich
von der Musik zu entfernen, wurde politisch tätig und machte sich in einem
Land, dessen Herrscher sich [95] dem Protestantismus verschrieben hatten, für die
katholische Kirche stark.
»Ernst August«, sagte sie vor sich hin, als sie einen Verweis auf
den Herzog von Hannover las: Ja, sie erinnerte sich. Der Autor erklärte in
einem Exkurs, sein Volk habe Ernst August das prächtigste Opernhaus aller
deutschen Kleinstaaten gebaut, aber nicht, um ihm eine Freude zu machen,
sondern in der Hoffnung, ihn damit von seinen jährlichen, sündhaft teuren
Reisen zum Karneval in Venedig abzuhalten. Sein Sohn, Georg Ludwig, sollte in
späteren Jahren König George I . von England
werden. Wie jeder andere bei solchen Recherchen, dehnte Caterina beim Stichwort
»Georg Ludwig« ihre Google-Suche weiter aus: Wie war das noch mit dem Skandal
um seine Frau? Und da war sie auch schon, die schöne Sophie Dorothea, die
größte Schönheit und begehrteste Partie jener Zeit; als Sechzehnjährige
heiratete sie Georg Ludwig (die beiden waren, wie sie las, Cousins ersten
Grades), einige Jahre später wurde die Ehe wegen Ehebruchs geschieden und
Sophie Dorothea bis zu ihrem Tode in ein abgelegenes Schloss verbannt, wo sie
dreißig Jahre schmachtete. Eine faszinierende Lektüre, die aber keine
Aufschlüsse über Steffani brachte.
Caterina klickte zum ursprünglichen Artikel zurück und konzentrierte
sich auf die endlosen Reisen in diplomatischer Mission, die Steffani unternahm,
als die Musik in seinem Leben in den Hintergrund rückte. Sechs Jahre lang
agierte er von Düsseldorf aus in politischen und kirchlichen Angelegenheiten.
Dort inszenierte er immerhin noch seine letzten drei Opern. Er war darum
bemüht, einen Krieg zwischen dem Papst und dem Kaiser zu verhindern, die beide
in den [96] Spanischen Erbfolgekrieg verwickelt waren – und wer wusste heute
noch, worum es dabei im Einzelnen ging? Einen Großteil seines Lebens widmete er
dem Versuch, vom Katholizismus abgefallene norddeutsche
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