Himmlische Juwelen
konnte.
Endlich kamen sie in einen Raum, der wieder Fenster hatte, und
dahinter erblickte sie die lange Fensterfront des Palazzo Ducale auf der
anderen Seite der Piazza. »Wie findest du dich hier bloß zurecht?«, fragte sie,
als Ezio vor einer Wand voller Bücher stehen blieb.
[99] »In den Räumen oder den Büchern?«
»Beides. Ich würde niemals wieder ins Freie finden. – Und wie komme
ich an die Bücher, die ich brauche?«, fragte sie und sah sich nach Computern
um.
Mit breitem Lächeln führte Ezio sie zu einem schulterhohen
Karteischrank. »Kennst du die noch?«, fragte er und tätschelte ihn. »Den habe
ich gerettet«, erklärte er stolz.
»Oddio«, rief sie, »ein Zettelkasten!«
Wann hatte sie so etwas das letzte Mal gesehen? Und wo? Wie eine Gläubige
angesichts einer Reliquie trat sie näher und berührte das glatte Holz, zog ein
Fach ein paar Zentimeter heraus und schob es vorsichtig wieder zu. »Zehn Jahre
ist das her. Mehr.« Dann in verschwörerischem Ton: »Ich liebe solche Schränke.
Was man da alles entdecken kann.« Und noch leiser: »Erzähl. Wie hast du es
angestellt?«
Sich in die Brust werfend wie ein Schauspieler in einem Kriegsfilm,
neben dem gerade eine Granate explodiert ist, sagte Ezio: »Die Karteikarten
sollten alle vernichtet werden. Auf Befehl meines Vorgesetzten.« Er holte
melodramatisch zweimal tief Luft. »Erst habe ich ihm mit Kündigung gedroht.«
Sie schlug beide Hände vor den Mund, um ihr Entsetzen kundzutun. »Du
bist noch hier, also ist es nicht so weit gekommen. Was ist dann geschehen?«
»Ich habe ihm angedroht, seiner Frau von seiner Affäre mit einer
Kollegin zu erzählen.«
Statt lauthals loszulachen, fragte Caterina atemlos: »Das hättest du
wirklich getan?«
Ezio wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
[100] »Aber er hat eingelenkt?«
»Ja. Er sagte, wir könnten sie behalten, vorausgesetzt, dass niemand
sie benutzt. Der Katalog sei vollständig zu digitalisieren, danach dürfe nur
noch per Computer auf die Sammlung zugegriffen werden.« Ezio verzog den Mund,
als wolle er jeden Moment vor sich auf den Boden spucken. »Erst kam diese
Anweisung, und dann hat er die Mittel zusammengestrichen. Uns fehlt das nötige
Geld.«
»Und der Computerkatalog?«
Er schwieg einen Moment, lächelte und spielte dann den Diplomaten,
dem eine direkte Frage gestellt wird. »Er ist auf gutem Wege.«
»Und dein Vorgesetzter?«, fragte sie. Wieder schien er gleich
ausspucken zu wollen: »Wurde in eine Provinzbücherei strafversetzt.« Und ehe
sie fragen konnte: »Offenbar entpuppten sich die drei letzten Kandidaten, die
er hier angestellt hat, als Verwandte seiner Frau.«
»Wo arbeitet er jetzt?«
»Quarto d’Altino.« Er grinste. »Ziemlich kleine Bücherei.«
Wie so oft, wenn Caterina Geschichten von Freunden oder Kollegen
hörte, die in Italien geblieben waren, wusste sie nicht, ob sie lachen oder
weinen sollte. Sie stellte ihre Tasche auf einem Tisch ab und nahm Kladde und
Stift heraus.
Daraufhin meinte Ezio: »Ich hole dir deine Benutzerkarte.« Er zeigte
auf eine Lesenische zwischen zwei Fenstern. »Da kannst du arbeiten. Lass die
Bücher einfach liegen, solange du sie brauchst. Wenn du fertig bist, leg sie
auf den Tisch neben der Tür, dann werden sie zurückgestellt.«
Sie nickte dankend. Ezio erklärte noch: »Es kann eine Weile dauern«,
und verzog sich.
[101] Caterina trat ans Fenster und sah auf die Piazza hinunter. Leute
gingen hin und her, kaum jemand beachtete die übrigen Bauwerke, die den Platz
umfassten. Verständlicherweise hatten alle nur Augen für die Fassade der
Basilika, ja viele warfen, wenn sie den Platz verließen, einen Blick zurück,
als wollten sie sich vergewissern, dass sie kein Trugbild war. Zu Caterinas Rechten
flatterten die Fahnen im frischen Frühlingswind, und sie schloss Frieden mit
der absurden Schönheit dieses Platzes.
Nun ging sie zum Katalog und zog das mit »Sc – St« bezeichnete Fach
auf, von Scarlatti bis Strozzi: Dort würden auch Stradella und Steffani zu
finden sein. Unter »Steffani« fand sie Einträge in vielen verschiedenen
Handschriften und mit fast ebenso vielen verschiedenen Schreibweisen seines
Namens. Und sie fand in spilleriger Schrift einen Querverweis auf »Gregorio
Piva«, das Pseudonym, unter dem er in späterer Zeit seine Kompositionen
veröffentlicht hatte. Sie notierte die Standortnummern jener Bücher, die wie
Steffani-Biographien aussahen oder zumindest wie Bücher,
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