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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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drei im Posteingang, als
erste öffnete sie die von Cristina.
    »Liebe Cati, Du bist mir ein willkommener Störenfried, denn genau
das bist Du, und nicht zum ersten Mal. Ganz vertieft in mein Kapitel über Papst
Pius XII . (den Deinesgleichen für ein Ekelpaket
halten dürften, fürchte ich) (eine Ansicht, die ich allmählich zu teilen
beginne) (was ich nicht zugeben sollte) (aber tue) und seine diversen
Ausweichmanöver und Winkelzüge, wirfst Du mir wie ein Hund, der einen ungemein
faszinierenden Knochen gefunden hat, mit Deinen Fragen nicht nur Clemens VIII . vor die Füße, sondern auch noch Kastraten, Abbés
und all die Betrügereien, denen Machthaber nie abgeneigt sind. Vielleicht
interessiert Dich nebenbei, dass Pius X . im Jahre
1903 Kastraten aus der Sixtinischen Kapelle verbannt hat. Du witterst einen
Skandal? Den kannst Du haben, meine Liebe.
    Wie Du siehst, habe ich mich für Dich umgetan. Ich habe – nicht ohne
Schwierigkeiten – ein Breve von Clemens VIII .
gefunden, in dem er Kastration ausdrücklich billigt, weil der Gesang »zur Ehre
Gottes« gereicht. Und ich bitte Dich, Cati – kein Scherz –, spare Dir jeden
Kommentar und provoziere mich nicht: Die Tatsache allein ist provozierend
genug.
    Der Papst wiederum kann für so ziemlich alles einen Dispens
erteilen. Mit anderen Worten: anything goes.
    [167]  Ja, Du merkst schon an meinem Ton, wie sehr ich meine Arbeit
satthabe; nicht die Recherchen selbst, die sind spannend, aber die Gedanken und
Gefühle, die sich dabei aufdrängen. Und daher ist mir die Gelegenheit
willkommen, in lange vergangene Zeiten zurückzugehen. Du schickst mich in die
Archive und weckst eine Neugier in mir, die mich mit Kollegen in Kontakt
bringt, mit denen ich seit Jahren nicht mehr zu tun hatte; zu meiner
Überraschung beißen sie ebenso an wie ich und überschütten mich mit
Informationen. Oder sind wir alle unserer eigenen Arbeit überdrüssig?
    Ein Studienfreund von mir, der jetzt an der Universität Konstanz
lehrt, rät Dir, Dich genauer mit der Königsmarck-Affäre zu befassen: Er habe
eine Quelle gesehen, derzufolge Dein Musiker daran beteiligt gewesen ist. Er
sagt, er kann nähere Informationen schicken, wenn Du willst, aber vermutlich
schickt er mir die sowieso, weil es keinen Wissenschaftler gibt, der sich nicht
gern mit Klatschgeschichten beschäftigt, selbst wenn sie ein paar hundert Jahre
alt sind. Ich kenne die Affäre nur in groben Zügen, würde aber zu gern lesen,
was er dazu sagt, und werde das auch tun, wenn es an mich adressiert ist. Wenn
es für Dich bestimmt ist und er mich bittet, es weiterzuleiten, werde ich das
tun, ohne mich weiter darum zu bekümmern. Ah, wie stolz mamma wäre, wenn sie wüsste, dass der Respekt vor der Privatsphäre, den sie uns mit
der Muttermilch eingeflößt hat, intakt ist hier in Tübingen. Aus selbiger Stadt
grüße ich Dich, liebe Cati, und lass mich wissen, ob ich mich weiter für Dich
umhören soll. Nichts wäre mir lieber, denn es hält mich von der Arbeit ab, und
genau das brauche ich jetzt. Bis bald. Alles Liebe, Tina-Lina.«
    [168]  Ach du liebe Zeit, dachte Caterina: Das klingt, als sei Tina
ziemlich am Ende. Sie hatte nie begriffen, warum ausgerechnet Cristina sich auf
die Religion verlegt hatte, nicht Cinzia oder Clara oder Claudia, die nicht
studiert hatten und weniger grübelten. Glaubenszweifel waren ihnen fremd:
Cinzia und Clara ließen ihre Kinder taufen und firmen, gingen sogar ab und zu
in die Kirche und erzählten den Kindern, dass Gott sie liebhabe und dass es
unrecht sei, andere zu belügen oder zu verletzen. Von Cristina abgesehen,
hatten alle miteinander vor Priestern wenig Respekt, verabscheuten den Vatikan,
wie nur Italiener es können, und fanden, die Kirche solle sich aus der Politik
heraushalten.
    »Genug dazu«, ermahnte sie sich und las die anderen Mails. Ein
Schulkamerad aus dem Gymnasium schrieb, er habe soeben erfahren, dass sie
wieder in der Stadt sei; ob sie gern mit ihm essen gehen würde? »Nur wenn du
Frau und Kinder mitbringst, Renato«, murmelte sie und löschte die Mail.
    Die letzte war von Dottor Moretti, der ihr mitteilte, beide Cousins
hätten ihn gestern angerufen und wissen wollen, warum die Dottoressa sie nicht
vom Fortschritt ihrer Recherchen unterrichtet habe. Kein Wort weiter.
    Sie antwortete, sie sei noch mit den Papieren aus der ersten Truhe
beschäftigt und habe bisher nichts zu etwaigen testamentarischen Verfügungen
des Abbé Steffani gefunden. Um damit voranzukommen,

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