Himmlische Juwelen
habe jetzt wieder viel mit Texten zu tun
und kann ganz gut zwischen den Zeilen lesen, auch zwischen Deinen. Bleib
gesund, sei Dir gewiss, dass Du geliebt wirst, iss Deinen Spinat und bete recht
fleißig.
Alles Liebe, Cati.«
Sie klickte auf »Senden«. Dann verließ sie das Zimmer, schloss ab,
drückte zweimal die Klinke, ob die Tür auch wirklich zu war, wiederholte das
Ganze mit der Tür zum Treppenhaus, und, in der Hoffnung, Roseanna habe ihre
Vorsichtsmaßnahmen auch ja gehört, ging sie zu deren Büro. Doch Roseanna war
gar nicht da.
Auf dem Weg zur Marciana nahm Caterina in einer Bar einen
Macchiatone, ein Thunfisch-Tramezzino und ein Glas [172] Wasser zu sich. In der
Bibliothek zeigte sie ihre Benutzerkarte vor und fand, ohne herumzuirren – sie
kam sich wie eine Wandertaube vor, die sich an den elektromagnetischen Wellen
in der Umgebung orientiert –, den Lesesaal in der zweiten Etage mit Blick auf
den Palazzo Ducale. Sie stellte ihre Tasche ab und ging mit der Kladde zum
Zettelkasten. Bevor sie die mit »K« bezeichnete Schublade aufzog, tätschelte
sie den Schrank wie einen Hund oder die Katze einer alten Freundin. Der Katalog
führte nicht nur elf Bücher in drei verschiedenen Sprachen zur
Königsmarck-Affäre, sondern enthielt auch mehrere krakelig geschriebene
Karteikarten mit Verweisen auf andere Bücher und Quellen: Zwei davon befanden
sich in der Handschriftenabteilung.
Sie notierte Titel, Autoren und Signaturen, ging damit zum
Hauptschalter und ließ sich von der Bibliothekarin die nötigen Bestellformulare
geben. Als sie die ausgefüllten Formulare zurückgab, nahm die Frau sie mit so
demonstrativer Gleichgültigkeit entgegen, dass Caterina fürchtete, erst ihre
Enkel würden die Bände aus der Handschriftenabteilung zu sehen bekommen,
weshalb sie auf Veneziano bemerkte, sie sei mit Ezio befreundet.
»Ah«, lächelte die Bibliothekarin, »dann hole ich sie gleich und
bringe sie an Ihren Platz.« Sie warf einen Blick auf die Signaturen. »Dauert
etwa eine halbe Stunde«, meinte sie freundlich.
Caterina dankte ihr und suchte auf dem Rückweg zum Lesesaal die
Bücher über Königsmarck zusammen. Eins davon war zu ihrer Überraschung ein
französischer Roman aus dem neunzehnten Jahrhundert. Achselzuckend stellte sie
ihn zu den anderen.
[173] Als die Bibliothekarin eine halbe Stunde später wiederkam, hatte
Caterina ihre Kladde mit Bleistiftnotizen vollgeschrieben. Kugelschreiber in
einer Bibliothek zu benutzen war für sie so undenkbar wie Löcher in ein
Rettungsboot zu stechen. Während die Bibliothekarin die zwei mächtigen
Folianten auf dem Lesetisch ablegte, war Caterina so in die Arbeit vertieft,
dass sie zu Tode erschreckt zusammenzuckte. Die Bibliothekarin ignorierte das
und sagte, die Bände seien auf Ezio eingetragen, und Caterina könne sie so
lange hier am Platz behalten, wie sie sie brauche.
Als die Frau gegangen war, ließ Caterina den Kopf sinken, massierte
ihre Schläfen und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Plötzlich hatte sie
Hunger, Bärenhunger, sie war am Verhungern. Sie durchwühlte ihre Tasche und
fand ganz unten einen verstaubten halben Toblerone-Riegel, den sie – vor ewigen
Zeiten – im Zug nach Manchester angefangen hatte. Sie sah sich schuldbewusst
um: Zwei Männer saßen mit dem Rücken zu ihr in Lesenischen auf der anderen
Seite des Raums. Sie stand auf, machte zwei Schritte weg vom Lesetisch, nahm
das Silberpapier fest in die Hand, damit es nicht knisterte, und brach ein
staubiges Dreieck ab. Sie schob es in den Mund, ließ es schmelzen, kaute dann
langsam das Nougat und freute sich, wie es an den Zähnen kleben blieb, weil sie
so noch länger etwas davon hatte.
Da sie immer noch gefährlich nah an den Büchern stand, ging sie ans
Fenster und blieb dort, bis sie die Schokolade aufgegessen hatte. Sie faltete
die Verpackung zusammen, steckte sie in die Tasche, klopfte die Krümel von der
Bluse und wischte sich die Hände an ihrem Stofftaschentuch ab, ehe sie sich
wieder setzte.
[174] Dann sah sie ihre Notizen durch. Königsmarck war in der Nacht des
1. Juli 1694 verschwunden; Zeugen hatten ihn ins Schloss und in Richtung der
Gemächer von Sophie Dorothea gehen sehen. Nach allgemeiner Auffassung lief das
Opfer vier Höflingen in die Arme, deren Namen, wenn man dem dänischen
Botschafter in Hannover Glauben schenkte, damals allgemein bekannt waren. Sein
Leichnam wurde angeblich in einem mit Steinen beschwerten Sack in die Leine
geworfen. Gefunden wurde
Weitere Kostenlose Bücher