Himmlische Juwelen
er nie.
Keinen Monat später berichtete der englische Gesandte in Hannover,
George Stepney, einem Kollegen, im Hause Hannover habe ein politischer Mord
stattgefunden. »Politischer Mord«, flüsterte Caterina. Als sie das las, hielt
es sie nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie stand auf und betrachtete die Fassade
des Palazzo Ducale.
»Politischer Mord«, murmelte sie noch einmal, »politisch«. Kein Mord
im Namen der Ehre, kein Mord aus Leidenschaft, hinter dem sich letztlich auch
gekränkte Ehre verbarg. Das Tatmotiv war politisch. Eine Verwicklung von Ernst
August in den Mord hätte seinen Anspruch auf den Kurfürstentitel nicht nur
geschwächt, sondern womöglich gänzlich zunichtegemacht. Und was wäre aus dem
Anspruch auf den Thron von England geworden, auf den das hannoversche
Königshaus so versessen war? Einen Mörder oder den Sohn eines Mörders hätten
die Engländer niemals als König akzeptiert.
Das war zwar nicht ihr Fachgebiet, aber das Jahrhundert, zu dem
Caterina ein reiches Hintergrundwissen besaß. Einer Aristokratin stand es frei,
sich einen Geliebten zu halten, Hauptsache, sie hatte ihrem Ehemann bereits
einen Erben [175] und noch ein Kind auf Vorrat geschenkt und hängte ihre Affäre
nicht an die große Glocke. Nur nicht die Blutlinie gefährden; nur nicht
riskieren, dass der Vater ohne rechtmäßigen Erben dastand. Männer konnten ihre
außerehelichen Kinder anerkennen; Frauen niemals.
Caterina erinnerte sich an eine Unterhaltung mit dem Rumänen, vor
Jahren, gleich nach der Ankunft in Manchester, bei ihrer ersten Mahlzeit in der
Mensa. Betrunken hatte er einen Stuhl neben ihr herausgezogen, gefragt, ob er
sich setzen dürfe, und mit einem Glas und einer Flasche Rotwein neben ihr Platz
genommen. Er schwieg, während sie ihren Salat und dann ein Stück Schwertfisch
aß, das zerkocht und mit einer unappetitlichen Sauce bedeckt gewesen war.
»Wir wissen nie, wer unsere Kinder sind«, sagte er plötzlich und sah
sie an. »Stimmt’s?«
»Wer ist wir?«, fragte sie – die ersten Worte, die sie je zu ihm
gesprochen hatte.
»Männer.«
»Und die wissen das nie?«
»Nein«, sagte der Rumäne traurig und nahm einen großen Schluck. Er
füllte das Glas wieder auf, schüttelte den Kopf und sagte: »Wir glauben es zu
wissen, aber wir wissen es nicht. Nie.«
»Und wenn das Kind ihnen ähnlich ist?«, fragte sie.
»Männer haben Brüder. Männer haben Onkel«, sagte er und nippte an
seinem Glas.
»Aber?«, fragte sie in der Annahme, er habe ihr noch mehr zu sagen.
»Frauen wissen es«, sagte er mit
Nachdruck. »Sie wissen es.«
[176] Caterina hielt es für deplatziert, einen Mann, den sie gerade
erst kennengelernt hatte, auf DNA -Tests
hinzuweisen; zumal er Kollege war und nicht sehr gut Englisch sprach.
Stattdessen sagte sie: »Ein weiterer Beweis für unsere Überlegenheit«, und nahm
einen Schluck von ihrem Weißwein.
Der Rumäne strahlte sie an, gab ihr einen Handkuss, nahm sein Glas
und die Flasche, erhob sich und ging davon. Nach drei Schritten drehte er sich
um und sagte: »Dafür braucht es keine Beweise, meine Liebe.«
[177] 18
Die Erinnerung verblasste; Caterina kehrte wieder zu ihren
Büchern zurück und beschäftigte sich eingehend mit Steffanis Aufenthalt in
Hannover und, ab 1703, in Düsseldorf. Erneut versuchte er in diplomatischer
Mission Verträge auszuhandeln und Eheprojekte anzubahnen, obwohl er zwanzig
Jahre vorher in München in dieser Hinsicht keine glückliche Hand bewiesen
hatte, als es ihm misslang, eine Ehe mit Sophie Charlotte einzufädeln, die Max
Emanuel einen Korb gab und später lieber Königin von Preußen wurde. Die Ärmste
trug den Titel nur wenige Jahre, bevor sie, mit 36 Jahren, verstarb, doch
immerhin genoss sie während ihrer Regentschaft die Freundschaft von Leibniz.
Caterina erinnerte sich, wie häufig Sophie Charlottes Name in den Briefen aus
der Truhe genannt wurde: jene Königin, die Steffani »mit ihrer Freundschaft
beehrt« hatte. Ob Andrea Moretti sich auch geehrt fühlte von der Freundschaft
mit Caterina Pellegrini?
Während Caterina sich in den Wirren dieser Jahre zurechtzufinden
versuchte, als protestantische und katholische Fürsten miteinander um die
Seelen und die Steuern ihrer Untertanen fochten, war sie immer mehr davon
überzeugt, dass Steffani ein Werkzeug der Propaganda Fide war. Ja, Propaganda
war das richtige Wort. Beriefen sich Politiker nicht häufig auf ihre religiöse
Überzeugung, obwohl es ihnen um den Machterhalt ging? Doch
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