Himmlische Juwelen
nahm den Deckel vom Topf, löffelte ein wenig in eine Schale, salzte
nach und ging damit ins Wohnzimmer.
Die Geschichte wurde noch spannender. Kurz nach Königsmarcks
Verschwinden erhielt ein gewisser Nicolò Montalbano, ein Venezianer, der sich
knapp zwanzig Jahre lang am Hof von Hannover herumgetrieben und gelegentlich
ein Opernlibretto geschrieben hatte, von Unbekannten die sagenhafte Summe von
150000 Talern, worauf auch er prompt und spurlos verschwand.
Die arme Sophie Dorothea wurde von ihrem widerlichen Georg Ludwig
verstoßen – unter dem fadenscheinigen Vorwand, sie sei es, die ihn hintergangen
habe – und auf ein abgelegenes Schloss verbannt, wo sie bis zu ihrem Tod noch
dreißig Jahre lang dahinvegetierte und nicht einmal ihre Kinder sehen durfte.
Der Autor wusste eine entzückende, aber wenig glaubhafte Anekdote zu berichten:
Sie habe Georg auf dem Sterbebett verflucht, und der sei denn auch kein Jahr
später tot umgefallen. Ihr selbst nutzte das nicht mehr viel, denn sie war ja
bereits tot und erlebte auch nicht mehr mit, wie ihr Sohn, der auch nicht viel
sympathischer als sein Vater war, als George II .
den englischen Thron bestieg. Da versteht man die gegenwärtige Königsfamilie
doch gleich viel besser, dachte Caterina.
[164] Sie stand vom Stuhl auf, wechselte zum Sofa hinüber und rührte
den Reis um, damit er abkühlte. Ernst August hatte ein Vermögen ausgegeben und
diplomatische Wunder gewirkt, um den Titel eines Kurfürsten zu erlangen, den
nur ein halbes Dutzend Adlige verliehen bekamen, die dann den Kaiser des
Heiligen Römischen Reiches wählen durften. Ja, das war schon was. Aber er
musste ein paar Jahre warten, ehe man ihn krönte, salbte oder sonst wie zum
Kurfürsten mit vollem Stimmrecht erkor. Und solange er darauf wartete, musste
er sich aus allem heraushalten und dafür sorgen, dass seine Familie ihm keine
Schande machte.
»Na bitte, Monsieur Poirot«, sagte sie und wies mit ihrer Gabel auf
die untersetzte Gestalt, die nicht vor ihr im Zimmer stand, »da haben Sie Ihren
ersten Verdächtigen.« Sie fügte sogleich hinzu: »Und sein Sohn, Georg Ludwig,
ist der zweite.« Und Steffani, fragte sie sich: War er eingeweiht? Er war
Hofmusiker, Diplomat: Seine Libretti dienten als Code. Die Affäre war ein
offenes Geheimnis. Er musste einfach Bescheid gewusst haben.
Sie aß ein wenig Reis, kaute jeden Bissen gründlich. Einmal noch
dachte sie an ihren Verfolger, und das schnürte ihr kurz die Kehle zu. »Nein«,
sagte sie laut, »ich werde das nicht an mich heranlassen.« Sie sagte nicht, was
»das« sein sollte, und nachdem sie den Reis aufgegessen hatte, legte sie sich
schlafen.
[165] 17
Der nächste Morgen war strahlend und wolkenlos. Caterina
erwachte gut ausgeschlafen, Energie und gute Laune waren wiederhergestellt. An
ihren Verfolger dachte sie erst, als sie das Haus verließ und zum Frühstück
eine nahe Bar betrat. Der Mann hinter der Theke brachte ihr, ohne zu fragen,
ihre Brioche zum Kaffee, und da erinnerte sie sich, wie sie gestern fast in
diese Bar gegangen wäre, um einen der Männer zu bitten, sie nach Hause zu
begleiten. Im hellen Licht des Aprilmorgens kam ihr der Gedanke abwegig vor.
Sie war spät aufgestanden und aus dem Haus gegangen, ohne ihre
E-Mails zu lesen. In der Stiftung begrüßte sie Roseanna, die sagte, sie hoffe,
das Schild werde die Leute so lange fernhalten, bis Caterina mit der Arbeit an
den Dokumenten fertig sei.
Sie ging nach oben und schaltete den Computer ein. Im Ausland hatte
sie jeden Morgen als Erstes online die italienische Presse studiert, das ließ
sie mittlerweile lieber bleiben. Es war reine Zeitverschwendung. Zwar
erschienen gewisse Politiker mal mehr, mal weniger häufig auf den Titelseiten,
doch ganz in der Versenkung verschwanden sie nie. Erst mit dem Tod verließen
sie die Bühne. Diebstahl, Beziehungen zur Mafia, Zahlungen an transsexuelle
Prostituierte, Korruption, unterschlagene Millionen – nichts warf sie aus der
Bahn. Auch nach einem Gerichtsprozess machten sie einfach weiter. Bevor man
sich’s versah, wechselten sie die Partei, kamen [166] plötzlich mit einem anderen
Image daher: neue Frisur, zu Jesus bekehrt, tränenreiche Fernsehauftritte, bei
denen sie ihre Frauen um Verzeihung anflehten, und schon waren sie wieder mit
von der Partie. Erst wenn sie starben, dankten sie endlich ab, auch wenn einige
dann immer noch herumgeisterten, als Namensschilder an Straßen oder Plätzen.
Dann lieber noch E-Mails lesen. Es waren
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