Himmlische Juwelen
gekommen.«
»Warum?«
Er überlegte eine Weile. »Wahrscheinlich, weil die Geschichte so
phantastisch war, so typisch venezianisch – den Palazzo am Kartentisch
verloren, das ganze Familienvermögen verspielt.«
»Was, meinst du, ist tatsächlich passiert?«
Er zuckte die Schultern. »Das Übliche, nehme ich an. Mein
Urgroßvater konnte nicht haushalten, hat nicht auf seine Frau gehört und alles
verloren.«
Ihre Mutter schaltete sich ein: »So sehen wir uns gern selbst.«
»Wir?«, fragte Caterina.
»Veneziani. Gran signori«, zitierte sie
den Beginn eines [158] bekannten Spruchs darüber, dass die Venezianer gern auf
großem Fuß lebten.
»Aber?«
»Cati«, sagte ihre Mutter, »so lange warst du nicht fort, dass du
das vergessen haben kannst. Wir sind durchtrieben und booten andere gerne aus.«
»Aber du doch nicht, und papà auch nicht«,
protestierte sie.
Ihre Eltern quittierten das mit Schweigen, bis Caterina den Löffel
hinlegte und zugab: »Na schön, na schön. Ihr denkt nicht so, aber die meisten
Venezianer sind sehr geschäftstüchtig.«
»Du nicht?«, fragte ihre Mutter, als habe Caterina soeben für
Kinderprostitution oder das MOSE -Projekt Partei
ergriffen.
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete sie.
Bevor alles noch komplizierter wurde, sagte ihre Mutter: »In zwölf
Minuten geht das Boot bei San Marcuola, Cati.« Ihre Mutter hatte weder auf die
Uhr gesehen noch nach der Zeit gefragt: Sie hatte das im Gefühl.
Hastige Küsse, das Versprechen, am nächsten Tag anzurufen, ja jeden
Tag, der Refrain ihrer Mutter, wie überflüssig es sei, so weit draußen in
Castello zu wohnen, wo sie hier ein so schönes Zuhause habe, und dann war sie
fort und auf dem Weg zur Anlegestelle.
Ihre Füße kannten den Weg: zur Tür hinaus und rechts am Kanal
entlang, dann links über die Brücke, nur ja nicht nachdenken, einfach immer
weiter – und neun Minuten später kam sie vor der Kirche San Marcuola heraus,
wo, wie sie sich erinnerte, das Grab von Hasse so schwer zu finden [159] war, und
schritt geradewegs auf den Anleger zu. Sie nahm ihre imob -Karte
aus der Tasche und hielt sie an den Sensor, hörte das bestätigende Piepen und
trat auf den beleuchteten embarcadero.
Und da war er wieder, der Mann, der sie von der Stiftung bis hierher
verfolgt hatte. Er saß auf der Bank links von ihr, die Beine weit von sich
gestreckt, die Füße gekreuzt, die Arme vor der Brust verschränkt, wie ein
harmloser Wartender. Er sah auf und starrte sie, genau wie wenige Stunden
zuvor, unverwandt an.
Sie steckte das Aboin die Tasche zurück,
ging an dem Mann vorbei bis zum Uferrand und sah den Canal Grande hinauf. Das
Boot war noch hundert Meter entfernt, deutlich sichtbar auf dem hell
erleuchteten Kanal. Sein Scheinwerfer näherte sich. Was sollte sie tun, wenn er
ihr aufs Boot folgte? Ihn ignorieren, an der Via Garibaldi aussteigen und zu
ihrer Wohnung gehen? Natürlich wären dort noch Leute unterwegs, vielleicht aber
nicht in der schmalen calle, wo ihre Wohnung war. Sie
könnte die Polizei rufen – aber was, wenn er dann nicht mit ihr ausstieg? Das
Boot legte an, sie ging in die Kabine und setzte sich auf einen Gangplatz, von
dem aus sie beobachten konnte, wer nach ihr an Bord kam. Er blieb draußen
sitzen.
Während der Matrose das Tau löste, rechnete sie damit, dass der Mann
jeden Moment auf das abfahrende Boot springen würde. Aber nein. Das Boot fuhr
an. Sie schaute hinüber, er saß noch auf der Bank: Die Arme verschränkt, die
Beine behaglich ausgestreckt, sah er ihr mit ausdrucksloser Miene nach.
Sie blickte nach vorn. Etwas brannte ihr im Auge, und als [160] sie
danach tastete, fühlte sie den Schweiß, der ihr übers Gesicht rann und ihr Haar
durchnässte. Bis zur Via Garibaldi war es fast eine halbe Stunde, und Caterina
war froh, so viel Zeit zu haben, um sich zu beruhigen.
Das Boot legte an; der Matrose schlang das Tau um den Poller, und
fünf oder sechs Leute erhoben sich. Sie schob sich in die Mitte der Schlange
und blieb dann hinter einem älteren Pärchen, das langsam die Via Garibaldi
hinaufging, bis sie zu ihrer calle gelangte. Calle
Schiavona. An der Ecke hielt sie kurz inne. Den Haustürschlüssel hatte sie
schon in der Hand, seit das Boot auf die Anlegestelle zugefahren war.
Das Haus stand auf der linken Seite. Vor der Tür angekommen, schloss
sie auf und ging hinein. Sie machte Licht, stieg in die oberste Etage und
öffnete die Wohnungstür. Drinnen machte sie eine nach der andern alle
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