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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Lampen
an. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass sie allein in der Wohnung war – eine
Überlegung, die sie eilig wieder verscheuchte –, stürzte sie ins Bad und
erbrach sich in die Toilette. Sie wusch sich das Gesicht, spülte sich den Mund,
brühte sich in der Küche eine Tasse Kamillentee auf und ging damit ins
Wohnzimmer.
    An Schlaf war nicht zu denken. Sie sank aufs Sofa und griff nach dem
zweiten Buch über Steffani, das sie aus der Bibliothek mitgenommen hatte.
    Über der fesselnden Lektüre vergaß sie schon bald die Übelkeit;
sie trank den Tee, machte sich noch eine Tasse und griff wieder zum Buch. Dann
aß sie ein paar Cracker, trank noch einen Tee und las weiter.
    Graf Philipp Christoph Königsmarck, »ein Mann, der [161]  aussah wie ein
Filmstar« – die anachronistische Beschreibung gefiel ihr –, verschwand im Jahre
1694 über Nacht aus dem Schloss des Herzogs von Hannover Ernst August, Steffanis
Gönner, und war »wie vom Erdboden verschluckt«.
    Gerüchte wollten wissen, er sei ermordet worden, und obwohl er
offiziell als verschollen galt, ließ sich der Skandal nicht ersticken. Als
Mörder oder sein Auftraggeber, so munkelte man, kam neben einigen anderen
Herzog Ernst August höchstpersönlich in Frage – dem die jedermann bekannte
Affäre des Grafen mit seiner schönen Schwiegertochter, Prinzessin Sophie
Dorothea, ein Dorn im Auge gewesen war.
    Schon wieder eine Sophie. Caterina blätterte zu dem Stammbaum vorne
im Buch zurück. Jene Sophie Charlotte, mit der Steffani korrespondierte und auf
deren Freundschaft er sich so viel zugutehielt, war die Schwägerin dieser
zweiten Sophie. Und der gehörnte Ehemann jener Georg Ludwig, der in der Folge
als George I . den englischen Thron besteigen
sollte – im Übrigen ein Cousin ersten Grades seiner untreuen Gattin. Dank ihrer
Schönheit und ihres Charmes und nicht zuletzt auch wegen der hunderttausend
Taler Apanage war Sophie Dorothea eine begehrte Partie gewesen.
    Die Übelkeit war verflogen, nun hatte sie Appetit. Caterina ging in
die Küche und setzte Reis auf. Auf dem Rückweg zum Sofa blieb sie vor dem
Spiegel neben der Wohnungstür stehen und fragte sich laut: »Du hast wohl zu
viel ferngesehen?« Da Caterina noch nie einen Fernseher besessen hatte, war die
Frage rhetorisch: nur ein Kommentar zu dem Melodram, das sie gerade las.
    [162]  Von einer Liebesheirat konnte kaum die Rede sein: Nein, Georg
Ludwig und Sophie hassten sich. Einmal, las sie, gerieten die beiden in einen
so heftigen Streit, dass man sie trennen, ihn buchstäblich von ihr wegzerren
musste. Georg hatte etliche Mätressen: Und als er schließlich als Thronfolger
nach England übersiedelte, nahm er zwei von ihnen mit – denen die Engländer
prompt die Spitznamen Maibaum und Elefant verpassten. Sophie Dorothea hatte
sich offenbar auf nur einen Liebhaber beschränkt, und nach allem, was Caterina
las, wurde ihr nicht die Affäre selbst verübelt, sondern nur, dass sie sie
nicht geheim gehalten hatte.
    Steffani, vergegenwärtigte sie sich – wenn auch nur zur
Rechtfertigung dafür, dass sie diese Tratschgeschichte weiterlas, die der
Regenbogenpresse in nichts nachstand –, hatte mit all dem insofern zu tun, als
Sophie Dorothea und Graf Philipp einander Hunderte von Liebesbriefen geschrieben
hatten, in denen sie ihre Gefühle füreinander in Zitate aus Steffanis Libretti
kleideten. Zum Beispiel gibt Königsmarck seine Sehnsucht nach der Geliebten zu
erkennen, indem er den Titel eines leichtfüßigen Duetts erwähnt: ›Volate
momenti‹ – lauten dessen Verse doch, dass die Zeit verfliegen und die Sonne
ihren Lauf beschleunigen möge, bis sie sich wiedersehen. Falls glaubhaft war,
was sie in der Marciana gelesen hatte, wurden diese Briefe von der Gräfin von
Platen abgefangen und gelesen, die als ehemalige Geliebte Königsmarcks galt,
ganz sicher aber eine ehemalige Mätresse Ernst Augusts, des Schwiegervaters von
Sophie Dorothea, war.
    Caterina starrte ins Leere. »Mal sehen, ob ich das richtig
verstanden habe«, sagte sie. »Liebestrunken tarnen sie ihre Empfindungen mit
Librettiversen, doch eine verflossene [163]  Geliebte von Königsmarck – die
zufällig auch die Mätresse des Schwiegervaters der aktuellen Geliebten ihres
Verflossenen war – durchschaut das Ganze und verpfeift die beiden.« Am liebsten
hätte sie im Spiegel nachgesehen, ob ihr davon nicht buchstäblich der Kopf
rauchte.
    Es roch nach Reis, und sie ging in die Küche und schaltete den Herd
aus. Sie

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