Himmlische Juwelen
Hannover zu bleiben,
in Rom tut man nichts dazu. Es ist eine verkehrte Welt.« – »Ich habe jetzt
nichts mehr zu veräußern, um meinen Unterhalt zu sichern.« – »Ich habe meinen
gesamten Besitz verkauft, sogar meinen kleinen silbernen Trinkbecher. [186] Nun
fehlt es mir selbst am Notwendigsten.« Aus allen diesen Briefen sprach die Not,
was den Glauben der Cousins an einen »Schatz« nur desto lächerlicher erscheinen
ließ.
Caterina zog den Laptop heran, um in den Archiven mit Material über
Steffani nachzusehen: in München, Hannover und Rom. Sie begann mit dem nach
Steffanis Titularbistum benannten Fondo Spiga in Rom, scrollte sich durch die
aufgeführten Dokumente – und fand die Cousins. Nein, nicht die Cousins, aber
die Männer, die ihre Vorfahren und damit die unmittelbaren Erben von Steffanis
Nachlass gewesen sein mussten: 1724 erkundigte sich der Abbé bei Giacomo
Antonio Stievani und Antonio Scapinelli, dem Erzpriester von Castelfranco, nach
den Übertragungsurkunden für einige Häuser im San-Marcuola-Viertel von Venedig,
die, obwohl die drei Männer sie gemeinsam geerbt hatten, aus irgendwelchen Gründen
von der Familie Labia in Beschlag genommen worden waren. Steffani schlug vor,
sie sollten sich besprechen, wie sie den Nachlass zurückverlangen und unter
sich aufteilen könnten; keinerlei Antwort war im Archiv verzeichnet.
Jemand fragt seine beiden Cousins, wie sie ihr gemeinsames Erbe
aufteilen können, worauf sie die Antwort schuldig bleiben und damit jede Lösung
unterbinden. Caterina erinnerte sich, wie sehr sie sich früher geärgert hatte,
wenn ihre Mutter davon sprach, dass sie jedem misstraute, der »von habgierigen
Leuten abstammte«. Sie hatte ihre Mutter von diesem antiquierten Glauben an
vererbbare Familieneigenschaften abbringen wollen. Ach, wer Augen hat und
siehet nicht.
Zielloses Stöbern in den Archiven verschlang den [187] Nachmittag; am
Ende wusste sie zwar einiges mehr über die Geldschwierigkeiten, die Steffanis
letzte Lebensjahre überschattet hatten, aber der Mann war ihr immer noch ein
Rätsel.
Um sieben – eingedenk der Ungeduld der Cousins und um sich nicht
noch einmal vorhalten zu lassen, sie täte nicht, wofür sie bezahlt werde –
schrieb sie eine Mail an Dottor Moretti: »Sehr geehrter Dottor Moretti, gemäß
unserer Abmachung setze ich die Lektüre der Dokumente fort: Um sie in die
Familiengeschichte und die große Geschichte einordnen zu können, sind weitere
Recherchen notwendig, ohne die viele Anspielungen mangels Kontext wenig oder
gar keinen Sinn ergeben. Damit die Ansprüche von Signor Stievani
beziehungsweise Signor Scapinelli nicht durch mangelndes Verständnis gewisser
Passagen, die den Fall zugunsten der einen oder anderen Seite entscheiden
könnten, beeinflusst werden, halte ich es für notwendig«, sie löschte das
letzte Wort und ersetzte es durch »unerlässlich«, »meine Recherchen in der
Marciana fortzusetzen, wo ich zurzeit Bücher in italienischer, französischer,
deutscher, englischer und lateinischer Sprache lese« – da habt ihr’s –, »in
denen von der familiären Situation die Rede ist und die im Gesamtzusammenhang
den Schluss zulassen, dass der Abbé über einen starken Familiensinn verfügte.«
In einem neuen Absatz berichtete sie von ihren Archivrecherchen,
zitierte Steffanis Briefe an seine Cousins und fügte trocken hinzu, Antworten
darauf seien nicht aufgeführt.
»Ich bin überzeugt, dass ein eingehendes Aktenstudium mir sehr von
Nutzen sein wird, um Abbé Steffanis Letzten Willen zu ermitteln.« Sie schloss
mit einem höflichen Gruß [188] und unterschrieb mit Vor- und Nachnamen, ohne den
Titel. Sie freute sich auch darüber, dass es ihr gelungen war, das Schreiben so
unpersönlich zu formulieren.
»Senden«.
Als sie einen Blick auf den Tisch warf, merkte sie, dass sie in fünf
Stunden nur vier Dokumente geschafft hatte. Sie dachte an eine Stelle in Dantes Inferno: In die Hölle verbannt zusammen mit ihrem
geliebten Paolo, der seine Tränen mit den ihren vermischt, erzählt dort
Francesca, sie hätten einen Tag mit Lesen verbracht, bis »wir an diesem Tag
nicht weiterlasen«. Vom Lesen zu Wollust und Sünde verführt, kamen die beiden
in die Hölle; für Caterina würde es nach dem Lesen Pasta mit Tomaten, Oliven
und Kapern und eine halbe Flasche Refosco geben. Wollust und Sünde waren leider
nicht im Angebot.
[189] 19
Abends ging sie auf Umwegen, ein Sklave der Schönheit, von
der Stiftung zur Riva. Am Wasser
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