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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Seele möge Frieden finden’, und sie zeigt sich
wenig überrascht über dieses Ende von der Hand derjenigen, deren Ehre er
verletzt hat, womit sie vermutlich die Familie des Kurfürsten meint, auch wenn
schon ein flüchtiger Blick auf [192]  das kurze Leben des Grafen eine lange Liste
von Verdächtigen liefert.
    Nach einigen moralischen Betrachtungen über die ‘gerechte Strafe,
die dieser Sünder und Verführer’ bekommen habe, schreibt sie, ‘die Hand Gottes
mag ihn niedergestreckt haben, aber profitiert hat der Abbé von dem tödlichen
Stoß, der ihn zu seinem Schöpfer sandte’.
    Und dann, als habe sie jemand um Beweise gebeten, merkt sie an: ‘Hat
er nicht wie Judas das Verbrechen möglich gemacht und davon profitiert? Von dem
Blutgeld, das er erhalten hat, konnte er die himmlischen Juwelen erwerben, aber
nichts kann ihm Männlichkeit, Ehre und Schönheit erkaufen.’
    Danach kommt, nicht am Rand, sondern am Anfang der nächsten Zeile,
als wollte die Schreiberin im Text fortfahren, ganz für sich allein der Name
‘Philipp’. Danach ist das Blatt leer. Erst auf der nächsten Seite gehen die
Memoiren weiter, jedoch wird Königsmarck von da an nicht mehr erwähnt.‹«
    Der Verfasser der Mail schloss, er hoffe, Cristinas Schwester könne
mit diesen Auskünften etwas anfangen, dann schrieb er noch kurz etwas über
seine eigenen Forschungen, grüßte höflich und erbot sich, falls gewünscht,
Cristinas Schwester Zugang zu dem Manuskript zu verschaffen.
     »So viel dazu, meine Liebe«,
fuhr Cristina fort. »Ich habe keine Ahnung, was all das bedeutet. Sie schreibt
nicht, sie sei dabei gewesen, sie sei Zeugin der Mordtat des Abbé, sondern nur,
er habe ›das Verbrechen möglich gemacht‹. Wie mein Freund kann auch ich keine
Seelen lesen, nur Texte.
    Zum Thema ›in der Seele lesen‹ möchte ich Dir kurz, wenn [193]  Du
erlaubst, etwas sagen: Die meine ist sehr müde und daher vermutlich
unleserlich. Ich arbeite weiter, aber je mehr ich lese, desto sinnloser
erscheint mir alles. Die Außenpolitik des Vatikan im zwanzigsten Jahrhundert?
Was soll ein denkender Mensch dazu sagen, außer dass das Ganze ein machtpolitisches
Manöver war? An die Wand über meinem Schreibtisch habe ich ein altes Foto
gehängt; es zeigt den Papst, wie er Pinochet die Kommunion erteilt. Wenn man
das sieht, möchte man sich am liebsten den Zoroastriern anschließen, nicht
wahr? Aber die nehmen keine Konvertiten auf, und das spricht für sie.
    Ja, Kitty-Cati, ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, von Bord zu
gehen und den Schleier abzulegen – nicht dass ich im wörtlichen Sinn je einen
getragen hätte. Ich habe es einfach satt, ich will nicht mehr ein Auge
zudrücken und dann das zweite und, wenn ich’s hätte, auch noch ein drittes
angesichts all dessen, was ich über die Vergangenheit und Gegenwart der Kirche
erfahre.
    Die Oberen sind trunken vor Macht. Bitte sag jetzt nicht, das
hättest du mir schon immer gesagt. Im Glauben bin ich fest. Ich glaube, dass Er
gelebt hat und für uns gestorben ist, damit wir Menschen besser werden, wie
auch immer. Doch mit diesen Clowns an der Spitze, mit diesen alten Narren, die
das Denken vor 100 Jahren eingestellt haben (ich lasse großzügig die dritte
Null weg), ist es unmöglich.
    Bitte erzähl zu Hause nichts davon, und sei mir nicht böse, dass ich
Dich darum bitte, als traute ich nicht Deiner Verschwiegenheit. Ich weiß, sie
sind nicht wirklich gläubig, aber sie wissen, dass ich an Gott glaube und wie
schwer es mir fallen wird, all dem den Rücken zu kehren, und ich möchte [194]  sie
nicht beunruhigen. Ist es nicht komisch, wie sehr wir ab einem bestimmten Alter
plötzlich Rücksicht nehmen und versuchen, den Eltern Sorgen zu ersparen? Meinst
Du, daran merkt man, dass man erwachsen wird?
    Wahrscheinlich wache ich nach diesem Geständnis morgen mit einem
Kater auf, aber Du bist die Einzige, der ich mich anvertrauen kann. Na ja, hier
gibt es noch jemanden, aber der will nichts davon hören. Oder, genauer gesagt,
er hört mich an, will nur nicht, dass ich schwanke und mich damit herumquäle,
er sagt, ich soll es einfach TUN . Ja, Kitty-Cati,
da ist wirklich ein ›er‹, das sollte Dich nach all den Jahren endlich
beruhigen. Nein, ich will Dir nicht unrecht tun: Du vertraust mir ohnedies. Er
ist ein freundlicher Mann, unverheiratet, unkompliziert, sehr klug, lässt mich
in Ruhe, wenn ich in Ruhe gelassen werden möchte, und ist bei mir, wenn ich das
möchte. Wo findet ein Mädchen das

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