Himmlische Juwelen
angekommen, wandte sie sich zur Basilika um,
hinter deren Kuppeln das Licht schwand. Als sie weiter Richtung Castello am
Wasser entlanglief, erschien ein Leuchten auf den Gesichtern der
entgegenkommenden Menschen im warmen Licht der Abendsonne. Ströme von Touristen
ergossen sich so kurz vor Ostern in die Stadt und rissen unachtsame
Einheimische in ihrem Strudel mit sich fort, oder sie dümpelten, wie bei Ebbe
angeschwemmte große Haufen Treibgut, um sie herum. Während Caterina fort
gewesen war, hatte sich vieles verändert. Mittlerweile gab es für die
Stadtbewohner nur noch wenige Monate im Jahr, in denen sie gegen den
Touristenstrom überhaupt noch vorankamen. Immerhin geht es uns noch besser als
den Lachsen, dachte Caterina.
Sie hatte ihr telefonino vorsichtshalber
in das Außenfach ihrer Tasche gesteckt und redete sich ein, nun einfacher eine
Freundin anrufen zu können, falls sie Lust bekäme, sich zum Essen zu
verabreden, vielleicht rief ihre Mutter an, oder ein anderer Schulkamerad hatte
von ihrer Rückkehr erfahren und wollte sie zu Kino und Pizza einladen. »Oder
die Himmel werden Feuer fangen, Caterina, und du musst die Feuerwehr rufen«,
sagte sie laut. Eine kleine Frau, die ihr mit Stock entgegenkam, starrte
Caterina entgeistert an und hielt angesichts dieser Verrückten Ausschau nach
einem Fluchtweg.
Caterina beachtete sie nicht weiter, nahm ihr Handy aus [190] dem
Vorfach, versenkte es tief in der Tasche und zog den Reißverschluss zu. Das
Handy hatte nicht geklingelt, also konnte sie jetzt in aller Ruhe einkaufen –
Oliven, Kapern und Tomaten im Geschäft nebenan – , um anschließend zu Hause
Pasta zu kochen und den Rest des Refosco zu trinken.
Erst danach schaltete sie ihren Computer ein und sah nach den Mails.
Die treue Tina hatte geantwortet.
»Liebe Cati«, schrieb sie, »hier ist die Mail von meinem Konstanzer
Freund. An mich adressiert. Also habe ich sie angesehen. Lies das erst mal,
dann sage ich was dazu.
›Liebe Cristina, sehr gern will ich Deiner Schwester, so gut ich
kann, bei ihrer Recherche behilflich sein. Das ist das mindeste, was ich tun
kann, um Dir für die Großzügigkeit zu danken, mit der Du mir Zugang zur
Bischöflichen Bibliothek von Trient verschafft hast.
Da Deine Schwester offenbar mit der ‘Affäre’ vertraut ist, spare ich
mir eine Kurzfassung. Das Manuskript, auf das ich bei Recherchen zur Praxis der
Kirchensteuer in der Gegenreformation gestoßen bin, befindet sich im Besitz der
Familie Schönborn. Es handelt sich dabei um die angeblichen Memoiren der Gräfin
von Platen, einer früheren Königsmarck-Geliebten, die allen Quellen zufolge
extrem eifersüchtig war. Außerdem war diese Gräfin von Platen die Mätresse des
Kurfürsten Ernst August, von dem sie zwei Kinder hatte. (Dazu eine Bemerkung in
Klammern, da ich nicht weiß, wie man Fußnoten in eine E-Mail einfügt: Sie,
Clara Elisabeth von Platen, hat doch tatsächlich ihren Liebhaber Königsmarck
dazu überreden wollen, ihre von Ernst August gezeugte Tochter zu heiraten –
sollte einmal ein Kollege sich [191] über die losen Sitten der Italiener
auslassen, kannst Du das jederzeit gerne zitieren. Und bevor Du Dich in
Recherchen über das Schicksal dieser Tochter stürzt, lasse ich Dich gleich noch
wissen, dass sie – offenbar als Mätresse Georg Ludwigs, ihres Halbbruders – dem
späteren George I . nach England folgte, wo sie
zur Gräfin Darlington wurde und, neben der Herzogin von Kendal, Melusine von
der Schulenburg, seine Gunst genoss.)
Wie das Platen-Manuskript im Archiv einer Familie landen konnte, die
eine bedeutende Sammlung von Musikhandschriften besitzt, darunter zahlreiche
von Steffani, vermag ich nicht zu sagen. Die Echtheit der Memoiren lässt sich
anhand von authentischen Briefen der Gräfin in der Schönborn’schen
Hauptverwaltung in Würzburg eindeutig belegen.
Sie verspüre, so die Verfasserin eingangs, den großen Wunsch,
angesichts des nahenden Todes vor Gott Zeugnis abzulegen und ihre Seele zu
entlasten. Ich kann nur in Texten, nicht in Seelen lesen und erlaube mir
deshalb nicht, zu beurteilen, ob dies Wahrheit oder Dichtung ist. Der gute
Vorsatz ist jedenfalls schnell vergessen, denn schon bald versäumt sie keine
Gelegenheit zum Lästern, sogar über Leute, die schon jahrzehntelang tot sind.
Zur Ermordung Königsmarcks bemerkt sie lediglich, daran seien vier
Männer beteiligt gewesen, von denen einer ihm von hinten den tödlichen Stoß
versetzt habe; sie hoffe, ‘seine
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