Himmlische Juwelen
doch solange das
Kreuz auf seiner Brust ein Bischofskreuz war, konnten sie über seine
Männlichkeit keine Witze reißen.
Allem Anschein nach hatte Steffani auf großem Fuß gelebt: enorme
Summen verdient und ausgegeben, Bücher, Reliquien und Gemälde gesammelt, stets
gut gegessen und getrunken, war viel und mit allem Komfort gereist. All das, um
zu beweisen, dass er einer von Gottes Auserwählten war? Caterina dachte an das
runde, traurige Gesicht, ging zu ihrem Tisch zurück und griff nach dem
französischen Roman über die Königsmarck-Affäre: Das lag ihr näher, Wollust,
Ehebruch und Eifersucht.
Sie schlug das Buch auf und sah als Erstes ein prächtiges [181] Exlibris:
eine halbnackte Frau auf einem Sofa, in einer Hand ein offenes Buch, die andere
auf der fast entblößten Brust. Caterina entzifferte, was die Frau nicht las: »La città morta«. Das Exlibris trug den Namen Gabriele
d’Annunzios und darunter »Prinz von Monte Nevoso« und »Presidente
dell’Academia Reale d’Italia«. Ihr fehlten die Worte, und sie begann zu
lesen.
»Der stattliche Kavalier Graf Philipp Königsmarck konnte nicht
ahnen, was das Schicksal für ihn bereithielt, als er im zarten Alter von
fünfzehn Jahren zum ersten Mal die schöne Prinzessin Sophie Dorothea erblickte.
Das Schicksal hatte sie zu seiner großen Liebe bestimmt, zu dem Stern, der den
umherirrenden Nachen seiner Leidenschaften leitete, und schließlich zur Ursache
des Schiffsbruchs, welcher für ihn den Tod und für sie ein Leben in Schmerz,
Elend, Verlassenheit und Schande bedeutete.«
Demselben Schicksal, dem der Graf sein Los verdankte, verdankte
Caterina ihren ausgeprägten Sinn für Fakten und Genauigkeit, und daher blickte
sie jetzt von diesem ersten Absatz auf und sagte: »Er war sechzehn, und sie war
keine Prinzessin.« Über das verunglückte Bild mit dem Schiffbruch senkte sich
besser der Schleier des Vergessens. Das Buch war auf Französisch geschrieben,
und obwohl sie mühelos folgen konnte, reagierte sie doch nicht so schnell wie
in der eigenen Sprache: Ihr Kichern über die alberne, abgedroschene
Ausdrucksweise des Autors kam immer erst mit Verzögerung.
Schon auf den ersten zehn Seiten wimmelte es von grotesken Übertreibungen:
»schmachtende Seufzer«, »Tränenfluten«, »stürmische Leidenschaft«, »heftige
Wutausbrüche«. [182] Sophie Dorothea, erfuhr sie, war »mit einem Monstrum
verheiratet«, »eine liebevolle Mutter«, »ein tiefverletztes Weib«, »eine
entzückende Schäkerin« und »zarten Gemüts«.
Königsmarck war »ein gescheiter Lebemann«, »ehrgeizig und fleißig«,
»einer der großartigsten Degenfechter seiner Zeit« und »allen Frauen untreu,
bis er sein Herz – auf Gedeih und Verderb – an die schöne Sophie Dorothea
verlor«.
Genug mit dem Unsinn, sagte sie sich nach vierzig Minuten und hielt
das Buch mit gestreckten Armen von sich weg. Es mochte für d’Annunzio gut genug
gewesen sein, ihr genügte es nicht. Auf einmal verstand sie, was die Nonnen
gemeint hatten, als sie die zehnjährige Caterina und ihre Klassenkameradinnen
ermahnten, ein Buch könne »Anlass zur Sünde« sein. Auch wenn nicht sie sich
versündigte, sondern höchstens der Autor, der anderer Leute Zeit verschwendete
oder unfreiwillig komisch war.
Wieder ging sie ans Fenster, klaubte einen Energieriegel aus ihrer
Tasche, so ein Ding, von dem manche Leute glauben, es sei zum Verzehr während
der Erstürmung des Everest bestimmt. Sie beobachtete die Rücken der beiden
anderen Leser, die sich seit vorhin nicht bewegt zu haben schienen, riss die
Verpackung möglichst geräuschlos auf und verschlang den Riegel mit vier Bissen.
Obwohl sie darauf geachtet hatte, nur das Papier und nicht den klebrigen Riegel
zu berühren, nahm sie ihr Taschentuch, wischte sich die Hände ab und wedelte
einige unsichtbare Krümel von ihrer Bluse, bevor sie zu dem Buch zurückkehrte.
Sie hatte hundertfünfzig Seiten überflogen, blätterte vor und sah,
dass nur noch vierzig Seiten fehlten. Man kann nicht leben, ohne sich zu
versündigen, dachte sie, und [183] vielleicht gab das Buch ja doch etwas her.
»Eifersüchtiger Zorn«, »heftiges Ungestüm« und »unerträgliche Qualen«
begegneten ihr, aber auch »Augenblicke der Seligkeit« und »ungekannte Wonnen«
sowie – nicht zu vergessen – »zwei Seelen, zu einer vereint«. Die Schurken betraten
die Szene – alle mit den obligatorischen schwarzen Umhängen –, und der
Schlimmste von ihnen, Nicolò Montalbano, war
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