Himmlische Juwelen
noch heutzutage? Es ist noch zu früh, Dir
mehr von ihm zu erzählen, aber mach Dir keine Sorgen: Er ist ein guter Mensch.
So viel dazu, nun zurück an Deine Arbeit, ich gehe nicht zurück an
meine. Ich mache mir nichts mehr daraus, und ich kenne mich gut genug, um zu wissen,
dass ich mir nie mehr etwas draus machen werde. Deinen Abbé und seine
Geschichten finde ich viel interessanter, wahrscheinlich weil das alles schon
so lange her ist; wenn Du nichts dagegen hast, lass mich weiter Deine
Forschungsassistentin sein. Und wenn Du mich nicht mehr brauchst, meinst Du,
Onkel Rinaldo würde mich als Klempnerlehrling nehmen, wenn ich zurückkäme?
Alles Liebe, Tina-Lina.«
[195] Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Caterina eine
Glaubenskrise. Der Glaube ihrer Schwester war ihr so unverbrüchlich erschienen,
dass sie seit Jahren nicht mehr mit ihr diskutierte, höchstens mal eine
sarkastische Bemerkung verlor. Caterina suchte keinen Streit mehr, weil Tina
glücklich wirkte, als habe sie ihren Platz in der Welt gefunden und als folge
sie ihrer Berufung, ihrem Gott zum Wohlgefallen.
Doch nun brach der Altar, den sie ihr errichtet hatte, plötzlich
zusammen. Caterina wusste weder, wie man als Exnonne weiterlebte, noch, wie man
von einer Nonne zur Ex wurde. Musste man eine Erlaubnis einholen, oder konnte
man einfach seine Sachen packen und verschwinden – eine geistliche Nora, die
die Tür hinter sich zuschlug?
Caterina hätte es nie für möglich gehalten, dass Cristina sich von
der Kirche lossagen könnte, so überzeugt war sie vom Glauben ihrer Schwester
gewesen. Aus einer Ehe kann man nicht einfach so hinausspazieren, weil es sich
dabei um einen Vertrag zwischen zwei Leuten handelt und der Vertrag erst gelöst
werden muss, bevor man wieder frei ist. Aber mit wem schließt eine Nonne einen
Vertrag? Mit dem Orden, dem sie beitritt, oder mit dem Gott, dem sie dienen
will? Und wer ist Gottes Anwalt auf Erden?
Caterina widerstand nur mit Mühe der Springflut ihrer Ironie. Ihre
Mutter hatte ihnen immer geraten, sie sollten ein Jahr in die Zukunft
vorausdenken, um eine Situation richtig einzuschätzen, doch Caterina hatte sich
immer hier und jetzt entschieden. Tina litt – nichts anderes als Schmerz konnte
sie zu dieser Mail veranlasst haben –, und sie litt jetzt, nicht in einem Jahr.
Wenn man herausfand, dass der Mann, mit dem man seit zwanzig Jahren verheiratet
war, nicht der war, [196] für den man ihn gehalten hatte, dass seine Tugend nur
Fassade und sein guter Leumund nur Täuschung war – was tat man dann?
Sie klickte auf »Antworten« und schrieb: »Tina-Lina, meine
Allerliebste, Du hast einen Job, eine Familie, die Dich bedingungslos liebt
(mich eingeschlossen), Du bist gesund, Du bist intelligent, bist hübsch und
geistreich. Und Dein Jesuskind schläft ja weiter brav in seinem Bett. Wenn Du
von Bord gehst, erwartet Dich ein sicheres warmes Plätzchen, obwohl man Dich
gewiss dort behalten würde: Du wechselst einfach zu den Protestanten über, wie
praktisch, dass Du für eine Universität arbeitest, an der beide Konfessionen
vertreten sind.
Wenn Du beschließt, nach Hause zu kommen, wird niemand Dich fragen:
Warum? Mamma wird vor Freude aus dem Häuschen sein,
wieder für Dich kochen zu dürfen, und wenn Du Deinen Freund mitbringst und sie
noch jemanden füttern kann, wird ihre Freude nur noch größer sein. Du bist eine
solche Koryphäe auf Deinem Gebiet, dass die Universitäten sich um Dich reißen
werden.
Ich sollte das nicht aussprechen, aber ich tu’s: Was spielt es am
Ende für eine Rolle, ob Gott existiert oder nicht? Und ist es nicht anmaßend
und hochmütig von uns, darauf zu bestehen, dass wir wissen, wie oder was er/Er
ist? Wir können nicht einmal den Wert von Pi bestimmen, bilden uns aber ein, etwas über Gott sagen zu können? Wie nonna immer meinte, da lachen ja die Hühner.
Um Deinen Existenzängsten ein Ende zu machen, verspreche ich, morgen
Onkel Rinaldo anzurufen und ihn zu fragen, ob er einen Lehrling braucht. Alles
Liebe, Kitty-Cati.«
[197] 20
Statt über das Debakel ihrer Lieblingsschwester nachzugrübeln,
arbeitete Caterina lieber. Beflügelt von der Mail des Konstanzer Professors,
befasste sie sich mit der Gräfin von Platen und ihrer halboffiziellen Stellung
als Mätresse Ernst Augusts.
Wie wenig sich doch seither geändert hatte. Früher machten Könige
ihre Mätressen zu Herzoginnen oder Gräfinnen; heute wurden sie von Premierministern
auf Kabinetts- oder
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