Himmlische Juwelen
zum Vollzug der »ruchlosen Tat«
bestimmt. Nicht aus Wissbegier, sondern weil der Hunger sie zu überwältigen
drohte, beschleunigte Caterina ihr Lesetempo, und innerhalb von fünfzehn
Minuten hatte sie es geschafft. Sie klappte das Buch zu und warf es – was sie
mit Büchern sonst nicht zu tun pflegte – auf den Tisch.
Wieso konnten historische Berichte, die auf den dürren Fakten
fußten, sie so fesseln und ihr Mitgefühl für diese beiden leichtsinnigen Narren
wecken, während dieser Roman hier, der doch der beiden Seelenleben offenbaren
sollte und dazu alle Register zog, sie am Ende nur aufatmen ließ, als diese
zwei selbstsüchtigen Dummerchen glücklich aus dem Weg geräumt worden waren?
Der Energieriegel hatte nicht gereicht. Der Hunger war nicht mehr
auszuhalten, und sie gab nach. Sie verstaute drei Bücher in ihrer Tasche,
verließ unbehelligt die Bibliothek, überquerte die Piazzetta und lief wohlgemut
am Bacino entlang Richtung Castello. Vor der ersten Brücke bog sie links ab in
eine calle, die vom Wasser wegführte. Irgendwo
rechts, erinnerten sich ihre Füße und ihr Magen, gab es eine lächerlich kleine
Bar, in der man winzige Pizze mit einer einzigen Sardine darauf essen konnte.
Und so war es; auch der Spritz war noch der gleiche, und nach drei von den
Ersteren und [184] einem von Letzterem fühlte sich Caterina gerüstet, in die
Stiftung zurückzugehen und die restlichen Dokumente aus der kleineren Truhe
durchzuarbeiten.
Es ging um eine Pfründe in Selz, die auf Steffani übertragen werden
sollte; Selz, las sie, lag am Rhein und gehörte zur Pfalz, eine dieser Städte,
mit denen die Konfessionen Pingpong spielten: protestantisch in der
Reformation, katholisch unter den Franzosen. Bis schließlich die Jesuiten ihrer
habhaft wurden. Caterina, keine Freundin der Pfaffen, ahnte bereits, dass es
von da an bergab gehen würde und am Ende die Taschen leer wären. Sie musste an
den handschriftlichen Kommentar zu der Liste der Gegenstände denken, die jemand
den Jesuiten hinterlassen hatte: »So ein Narr.«
Die Papiere gingen juristisch ins Detail, aber grob gesagt ging es
um Geldstreitigkeiten. Die Einkünfte aus Steffanis Stellung als Propst von Selz
wurden ihm vorenthalten, weil die Jesuiten aufgrund früherer Ansprüche das Geld
für sich reklamierten. Der Fall schleppte sich jahrelang durch die kirchlichen
Gerichtsinstanzen, weil der Papst einer Entscheidung darüber, wer die Beute
einstreichen durfte, immer wieder aus dem Weg ging.
1713 wurden Steffani, der auf vollständige Auszahlung der ihm
zustehenden 6000 Taler pochte, lediglich 713 Taler zugestanden. Bittschriften
wurden nach Rom geschickt, Männer, die Steffanis Anspruch auf das Geld
unterstützten, reisten persönlich in die Heilige Stadt, doch alles ohne Erfolg.
»Jesuiten«, zischte sie, und es klang wie ein ordinärer Fluch.
Das Ausbleiben des Geldes brachte Steffani offenbar in schwere Not.
Da der Prozess im Jahrzehnt vor seinem Tod stattfand und da in den Petitionen
wiederholt von seiner [185] prekären finanziellen Lage die Rede war, fragte
Caterina sich wieder einmal, wo das ganze Geld geblieben war. Kurze Zeit
nachdem Steffanis Versuche, an die Gelder aus der Selzer Pfründe heranzukommen,
endgültig gescheitert waren, legte er sein Amt nieder; doch mit den Einnahmen
aus seiner Pfründe in Carrara war es auch nicht besser. Sie erinnerte sich,
dass Luther, als er seine Thesen an das Kirchenportal nagelte, den Ablasshandel
als einen von vielen Missständen angeprangert hatte: Ob das Schachern mit
Pfründen ein weiterer war?
Die Streitigkeiten zogen sich hin, Steffanis Lage wurde immer
verzweifelter. Mehrmals wandte er sich an den Papst, an die Jesuiten und an
verschiedene weltliche Herrscher, weil er das Geld aus den Pfründen dringend
benötigte. Caterina staunte, mit welchen Leuten er sich so gut zu stehen
glaubte, dass er sie schriftlich um Unterstützung bat; unter anderem waren das
der König von England, der Kurfürst von Mainz, der englische Botschafter in Den
Haag und sogar der Kaiser persönlich: »In diesem Moment der Not habe ich mich
an den Kaiser gewandt, ob er mir aus Freundlichkeit oder Nächstenliebe meine
Gemälde abkaufen würde, damit ich noch eine Weile überleben kann.« Während er
bei den einen um Hilfe flehte, beschwerte er sich bei anderen, dass er betteln
müsse: »Meine Klagen könnten Jeremias alle Ehre machen. Am Ende muss ich noch
um Almosen bitten. Der König von England drängt mich, in
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