Himmlische Leidenschaft
ab, und schließlich löst sich alles in einen Irrgarten von Felsformationen und unfruchtbaren roten Canyons auf.«
»Wohin fließt der Lost River?«
»Laut Ute fließt er nirgendwohin. Er wird nur immer schmaler und schmaler, bis er schließlich völlig versiegt.«
Case machte ein nachdenkliches Gesicht, als ob er die Landschaft im Geist umgestaltete.
»Der Lost River fließt nicht in ein anderes Gewässer?« fragte er.
»Nein.«
»Endet er in einem See?«
Sarah schüttelte den Kopf. Ihre nächsten Worte bestätigten, was er bereits vermutet hatte.
»Während der trockenen Jahreszeit«, sagte sie, »ist der Lost River die einzige größere Wasserstelle im Umkreis von vielen, vielen Tagesritten.«
»Ist der Fluß jemals ausgetrocknet, bevor er die Ranch erreicht?«
»Nicht in den sechs Jahren, die ich jetzt hier bin.«
»Was sagt Ute?«
»Er hat noch nie davon gehört, daß der Fluß im Lost River Canyon kein Wasser mehr geführt hätte.«
»Trotzdem, eine riskante Sache.«
»Mir wäre auch wohler zumute, wenn ich die Zeit und die Ge-
Schicklichkeit hätte, ein paar simple Dämme zu bauen und vielleicht einen Teich auszuheben für Notzeiten«, gestand sie. »Ein Brunnen wäre auch schön.«
»Wir werden daran arbeiten, wenn du dir das Silber von der Seele geschafft hast.«
Ihre Augenlider zuckten.
Sie würde nicht mehr auf der Ranch sein, nachdem sie das Silber gefunden hatte.
Schweigend wandte sie sich von Case ab und beobachtete den Flug eines Adlers. Der Raubvogel hob sich zuerst als schwarze Silhouette gegen den Himmel ab, dann schimmerte sein Gefieder in einem prachtvollen Bronzeton, als er sich drehte und das Sonnenlicht aus einem anderen Winkel auffing.
Case wartete, aber Sarah sagte noch immer nichts über die Zeit, wenn er der Miteigentümer der Lost River Ranch sein würde.
»Oder hast du vor, das Land zu teilen und mir die eine Seite des Flusses zu geben, während du die andere behältst?« fragte er.
Es dauerte einen Moment, bevor sie antwortete.
Und selbst dann starrte sie weiter zu dem Adler hoch oben am Himmel hinauf, statt ihn anzusehen.
»Nein«, sagte sie mit rauher Stimme. »Ich denke, es wäre besser, die Ranch intakt zu lassen. Es sei denn, du möchtest, daß das Land aufgeteilt wird ... ?«
Case schüttelte den Kopf, doch sie sah es nicht.
»Ich bin nicht sonderlich geschickt, wenn es ums Gärtnern und Spinnen und Weben geht«, sagte er.« Aber ich verstehe etwas von Viehzucht und Landwirtschaft. Ich glaube, uns allen wäre besser gedient, wenn wir unsere Talente weiterhin vereinen würden, so wie du und Lola und Ute es bisher getan habt.«
Sarah konnte unmöglich sprechen, ohne den Kummer zu enthüllen, der sie fast zu ersticken drohte. Und so nickte sie nur stumm und sehnte sich mit jeder Faser ihres Herzens nach der Freiheit eines Adlers, der auf dem Wind dahingleitet.
Schweigend blickte Case von einer Seite der sich rapide verengenden Schlucht zur anderen. Das Land stieg zunehmend steiler unter den Hufen seines Hengstes an. Äste und halb verfaulte Baum-
Stämme, die vom Kopfende des Canyons aus heruntergespült worden waren, hatten sich in Felsspalten, knapp zwei Meter über seinem Kopf, verkeilt.
»Ich würde es hassen, hier zu sein, wenn eine Überschwemmung kommt«, sagte er nach einer Weile.
»Es ist... furchterregend.«
Überrascht über den rauhen Unterton von Angst in ihrer Stimme drehte Case sich im Sattel um und sah sie an. Erst dann fiel ihm wieder ein, wie ihre Familie ums Leben gekommen war.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich hatte nicht die Absicht, schmerzliche Erinnerungen heraufzubeschwören.«
»Ich bin an sie gewöhnt.«
»Manchmal hilft einem auch die Gewöhnung nicht, sie leichter zu ertragen.«
»Nein, manchmal nicht«, sagte Sarah in sachlichem Ton und begegnete seinem Blick. »Das sind die schlimmen Zeiten.«
Ihm stockte der Atem in der Kehle. Als er jetzt in ihre Augen sah, war es, als schaute er in einen Spiegel - unter der Oberfläche lagen dunkle Schatten von Grauen und Kummer, Zorn und Schmerz.
Doch nach außen hin war nichts davon zu erkennen.
Gar nichts.
Es verriet Case, daß Sarah ebenso tief vom Leben verletzt worden war wie er. Dennoch hatte sie keine unsichtbare Schutzmauer um sich herum errichtet und sich gegenüber allen Empfindungen verschlossen, um zu überleben.
Wie hat sie gelernt, wieder zu lachen? fragte er sich verwundert.
Dann ging ihm eine Frage durch den Kopf, die er sich selbst nie gestellt
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