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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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jemand, um mich zu befreien. Wie lang wollten meine Kidnapper diese lächerliche Aktion durchziehen? Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr erschien mir das Ganze wie ein missglückter Streich, ein Spaß, den jemand zu weit getrieben hatte.
    Durch das Gitter drang das Wasser unaufhaltsam in den Raum ein. Vielleicht war diese Öffnung ja der Endpunkt eines aufgegebenen Rohrsystems – wozu auch immer es gedient hatte, jetzt führte es den steigenden Tannes in meine Richtung. Die Öffnung ließ sich unmöglich verstopfen. Inzwischen waren meine Kleider richtig durchnässt.
    Ich kletterte auf die Kisten und rief um Hilfe.
    Niemand kam. Keinerlei Reaktion. Im Bauch des Walfischs konnte ich kaum meine eigene Stimme hören.
    Ich schrie, bis mir die Stimme versagte. Fünf Minuten, vielleicht zehn. Ich roch frisch gebackenes Brot, würzige Soßen, Öl. Rosenblätter, Lammbraten, Kichererbsen, Kastanien.
    »Hilfe! Ich bin hier! Ich bin’s, Francis Reynaud!«
    Mir wurde schon ganz schwindlig vom vielen Schreien. Ich wäre so froh gewesen, irgendeine Menschenseele zu sehen – selbst wenn es meine Kidnapper gewesen wären, père. Alles war besser als die absolute Einsamkeit. Diese Erkenntnis überraschte mich ein wenig. Es ist mir noch nie schwergefallen, allein zu sein. Aber jetzt hätte ich sogar das Gesicht von Père Henri Lemaître wie Manna in der Wüste empfunden.
    »Hilfe! Bitte, helft mir doch!«
    Ich wusste nicht, an wen ich mich eigentlich richtete. Vielleicht an Sie, mon père – oder an Gott. Aber niemand antwortete. Schließlich kletterte ich von meinem Ausguck hinunter und begab mich wieder zu den Stufen. Bald würden sie der einzige Teil des Kellers sein, der nicht unter Wasser stand. Ich wickelte mich in meinen Mantel und versuchte, wieder einzuschlafen. Vielleicht ist mir das tatsächlich gelungen, vielleicht bin ich auch bloß in eine Art Trance gerutscht, aus der ich wenig später durch dumpfe Schläge über meinem Kopf gerissen wurde.
    Bumm, bumm, bumm, bumm.
    Es war ein beharrliches, rhythmisches Geräusch, wie eine wummernde Bassgitarre in der Ferne.
    Bumm, bumm, bumm, bumm.
    Musik? Wohl kaum. In Les Marauds hört man keine laute Musik. Außerdem wirkten diese Schläge irgendwie organisch. Sie waren nicht ganz gleichmäßig, was man aber kaum merkte. Eher wie ein unregelmäßiger Herzschlag.
    Vielleicht ist es das Herz des Walfischs, der von neuen Eroberungen träumt, mon père.
    Und plötzlich begreife ich. Endlich, mon père, weiß ich, wo ich bin. Dieses Hämmern, das wie ein riesiges Herz klingt, ist das Geräusch eines Laufbands.
    Mein Verlies liegt unter dem Gym.

8

    Mittwoch, 25. August
    Als wir über die Brücke nach Les Marauds gingen, sahen wir einen spektakulären Sonnenuntergang. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, und das Ergebnis war dieses großartige Naturschauspiel. Dramatische Wirbel aus Zitronengelb und Rosé, unter einer unheilverkündenden Schicht Schiefergrau. Alle Häuser erstrahlten purpurrot, die Fenster leuchteten wie mit Blattgold überzogen. Und der Tannes schimmerte, ein glattes, glänzendes Seidenband.
    Ich konnte Inès Bencharkis Boot sehen, das hinter den Bäumen am Steg vertäut war. Im Innern brannte Licht, und wieder stieg ein dünner Rauchfaden aus dem Schornstein auf. Ich holte meine letzte Portion Pralinen heraus: dunkle und helle Trüffel, in gewürztem Kakaopulver gerollt, Kardamom zur Beruhigung, Vanille für den Wohlgeschmack, grüner Tee, Rosenwasser und Tamarinde für Harmonie und Wohlwollen. Mit Blattgold bestäubt sahen sie aus wie kleine Christbaumkugeln, sie dufteten köstlich und waren wunderbar rund – wer könnte da widerstehen?
    Rosette rannte sofort zum Fluss. Bam schwimmt offenbar sehr gern. Meine kleine Tochter kann so gut schwimmen wie Roux, und sie hat keine Angst vor dem Wasser. Mit einem Ast prüfte sie die Wassertiefe und angelte nach vielversprechendem Treibgut. Als ich näher kam, hatte sie schon ein paar Stöcke, einen Champagnerkorken und einen Puppenkopf an Land gezogen. Den Puppenkopf platzierte sie oben auf dem Haufen, wie eine Kannibalentrophäe.
    »Geh nicht ins Wasser, Rosette.« Bam hüpfte über die golden schimmernde Oberfläche wie ein Flutschstein.
    »Was ist das da im Wasser?«, fragte plötzlich neben mir eine Stimme.
    Ich drehte mich um und sah Maya. Sie kam aus einem der engen Durchgänge, die das Flussufer mit der Straße verbinden. Es gibt sicher ein halbes Dutzend solcher Passagen am Boulevard des Marauds. Für

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