Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
Vom Netzwerk:
gab ihm alles, was ich hatte. Ich wollte, dass er in die Moschee ging, dass er gute Freunde fand, dass er Respekt zeigte. Er war ein sehr hübscher kleiner Junge. Ich weiß, dass ich ihn verwöhnt habe. Das war nicht gut. Aber mein Karim war mein Ein und Alles. Sie sagen, das Paradies liegt zu Füßen der Mutter. Für mich war Karim mein jannah, mein Paradies. Allah war gut, weil Karim bei mir war. Ich wollte, dass mein Sohn alles haben konnte.«
    Wieder dieses eingefrorene Lächeln. Und doch – wenn sie von Karim redet, sehe ich, wie schön ihr Gesicht eigentlich ist.
    »Ich brauchte mehr Geld«, erzählte sie weiter. »Als Karim alt genug war, um eine Weile ohne mich auszukommen, ging ich nach Spanien, um Erdbeeren zu pflücken. Das war harte Arbeit. Aber in Spanien verdiente ich viel mehr Geld als zu Hause. Karim war ein guter Schüler. Ich wollte, dass er studierte. Aber die Universität kostet Geld, mehr Geld, als ich in Tanger mit meinen Näharbeiten verdienen konnte. Ich war drei Monate in Spanien. Drei Monate ließ ich meinen Sohn alleine. Ich glaube, ich habe ihn nicht streng genug beaufsichtigt. Aber er war immer anständig und respektvoll. Im folgenden Jahr ging ich wieder nach Spanien. Karim war knapp siebzehn. Und diesmal vergewaltigte er ein Mädchen mit vorgehaltenem Messer, während ich fort war.«
    Die junge Frau hieß Shada Idris. Sie war zweiundzwanzig und unverheiratet. Karim hatte sie in einer Teestube kennengelernt. Eine Hure, nach seinen Wertvorstellungen, denn sie trug Jeans und Stöckelschuhe und hatte die Haare hochgesteckt, so wie es damals modern war, unter einem bunten hijab. Sie verabredete sich mit Karim. Er und seine Freunde erwarteten sie.
    Zuerst leugnete er alles. Er sei nicht beteiligt gewesen, er habe nur zugeschaut, versicherte er Inès. Aber er hatte eine Trophäe behalten – das Armband der Frau, eine einfache Kette aus schwarzen Perlen. Inès entdeckte dieses Armband in seinem Zimmer und zwang ihn, alles zu gestehen.
    Bei der Polizei sagte er aus, die Frau habe es provoziert und sie sei sowieso keine Jungfrau mehr gewesen. Sie wohnte mit zwei anderen Frauen bei der großen Moschee im Stadtzentrum, und die Frauen passten immer abwechselnd auf die Kinder auf, solange die anderen arbeiteten. Sie hatte bereits ein uneheliches Kind, ein kleines Mädchen namens Du’a.
    »Mein kleiner Pfirsich!«, rief Omi mit einem schnellen Blick zu Du’a.
    Inès nickte. »Keine Sorge. Sie weiß Bescheid. Ich habe ihr immer die Wahrheit gesagt. Karim habe ich nichts erzählt, als er klein war, und man sieht, wohin das geführt hat. Aber Du’a weiß, sina ist ein glitschiger Fisch, den man nicht greifen kann.« Wieder lächelte sie. »Das Kind ist ja nicht schuld. Diese Lektion trichterte ich meinem Sohn ein. Aber mit dem Rest habe ich zu lange gewartet. Ich habe mich geschämt. Ich dachte, ich käme darum herum, ihm die ganze Wahrheit zu sagen.«
    Shada ging zur Polizei und erstattete Anzeige. Aber genau wie bei Inès interessierten sich die Beamten mehr für Shadas Privatleben als für die Vergewaltigung und ließen Shada wegen Prostitution verhaften. Zwar wurde die Anklage wieder fallen gelassen, aber es stellte sich heraus, dass Shada illegal in einer staatlichen Wohnung gelebt hatte. Sie und ihr Kind wurden auf die Straße gesetzt. Obdachlos und verzweifelt begab sich Shada zur Wohnbaugesellschaft, setzte sich auf den Platz vor dem Gebäude, übergoss sich mit Benzin und zündete sich an.
    Inès schaute von einer zur anderen. »Was hätte ich tun sollen?«, sagte sie. »Mein Sohn war an dieser Verzweiflungstat nicht unschuldig. Und deshalb erzählte ich Karim die Wahrheit über seinen Vater – und über mich selbst. Und ich nahm das Kind zu mir, das Shada zurückgelassen hatte. Karim war lange sehr wütend. Wütend auf mich, weil ich ihn beschämt hatte, aber noch wütender auf sich selbst. Er schaute meine Du’a nicht an, er redete mit ihr nicht mehr als unbedingt nötig. Dabei war sie ein süßes kleines Mädchen. Ich nannte sie immer meine kleine Fremde.«
    Wie bitte? Meine kleine Fremde? Ich dachte, ich hätte mich verhört. Inès konnte doch unmöglich für Du’a die gleiche Bezeichnung verwenden wie ich für Anouk. Und trotzdem passte es irgendwie. Inès ist nicht mehr die Frau in Schwarz – sie hat ein Gesicht, und trotz der Narben kenne ich es genau. Wir sind gleich, sie und ich. Wir sind beide Skorpione, und wir sind beide Wasserbüffel.
    Inès musterte mich neugierig. Ihre

Weitere Kostenlose Bücher