Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
eingegriffen hätte. Nach allem, was ich von Jean-Philippe erfahren habe, der zum Glück außer einer Platzwunde am Hinterkopf keinen Schaden genommen hat, war Joséphines Einmischung ziemlich handfest – und laut Caro unnötig aggressiv. Sie beförderte Père Henri gewaltsam aus dem Krankenzimmer. Und schon fiel Henriette Moisson über ihn her. Als sie in ihm den Perversling erkannte, der versucht hatte, Monsieur le Curé zu ersetzen, jagte sie ihn mit einem Besen aus dem Haus und zeterte dabei wie eine Furie. Draußen vor der Tür wartete Vlad. Normalerweise beißt er nie, versicherte Pilou, aber die Kombination aus Henriettes Geschrei, dem fliegenden Besen, dem unbekannten Priester …
Ich glaube, der treffende Ausdruck wäre supertoll.
Die Leichen von Inès und Karim Bencharki wurden am Montag von Polizeitauchern gefunden. Ineinander verkrallt, wie in einer letzten hitzigen Umarmung. Inès’ halbverbranntes schwarzes Gewand hüllte sie beide ein. Joséphine erzählte mir die ganze Geschichte. Ich wollte, ich hätte schon früher Bescheid gewusst, père. Ich wollte, ich hätte geahnt, wie ihr Gesicht aussieht.
Ich selbst war drei Tage lang immer nur halb bei Bewusstsein. Fieberwahn, Lungenentzündung, Dehydration, Erschöpfung – unser Dorfdoktor, Monsieur Cussonet, kümmerte sich effizient um alles, in Zusammenarbeit mit Joséphine, die kaum von meiner Seite weicht, seit ich wieder zu Hause bin.
Während dieser Tage riss der Besucherstrom nicht ab, sagt sie. An manche Leute kann ich mich sogar erinnern: Guillaume Duplessis, Charles Lévy, Luc Clairmont und Alyssa Mahjoubi. Viele kamen aus Les Marauds und brachten Geschenke mit, in der Regel etwas zu essen. Und dann natürlich Vianne Rocher: Vianne mit heißer Schokolade, Vianne mit einer Handvoll mendiants, diesen Schokokeksen mit Nüssen und getrockneten Früchten, Vianne mit einem Glas Pfirsichmarmelade und einem Lächeln wie ein Sonnenaufgang im Sommer.
»Wie geht es Ihnen, Monsieur le Curé?«
Ich lächelte. (So langsam gelingt es mir ein bisschen besser.) »Das wird schon wieder. Vielleicht brauche ich Schokolade.«
Das gefiel ihr sichtlich. »Ich werde mein Bestes tun.«
»Was macht Du’a?«
Vianne zuckte die Achseln. »Bestimmt dauert das eine Weile. Die Al-Djerbas kümmern sich um sie.«
»Wie schön. Die Al-Djerbas sind wirklich gute Menschen. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich glaube, wir bleiben noch eine Woche hier. Auf jeden Fall, bis Sie wieder auf den Beinen sind.«
Das überraschte mich. »Warum?«
Wieder das Sommerlächeln. »Ach, keine Ahnung. Vielleicht gewöhne ich mich langsam an Sie.« Sie fasste in ihre Tasche, und ich dachte, sie würde eine Praline hervorzaubern, aber es war ein getrockneter Pfirsichkern.
»Das ist der letzte von Armandes Pfirsichen«, erklärte sie. »Ich wollte ihn bei ihrem Grab einpflanzen. Aber dann musste ich an Ihren Garten denken. Sie haben keinen Pfirsichbaum, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Dann sollten Sie den hier einpflanzen«, sagte sie. »Neben die Mauer, wo es sonnig und warm ist. Bis der Baum Früchte trägt, dauert es wahrscheinlich ein paar Jahre, man muss Geduld haben. In China ist der Pfirsich ein Symbol für das ewige Leben, wussten Sie das?«
Ich schüttelte den Kopf.
Ich nahm den Pfirsichkern, wollte aber nicht sagen, dass ich seine Früchte vielleicht nie zu sehen bekommen werde. Mein Haus gehört ja der Kirche, und meine Stellung ist bekanntlich gefährdet. Heute rief mich der Bischof an. Joséphine hat mit ihm gesprochen. Er möchte morgen mal vorbeischauen. Es gebe Verschiedenes zu besprechen, sagt er. Bestimmt hat Père Henri Lemaître ihm bereits seine Version der Geschichte unterbreitet. Ich erwarte keinen Beistand. Obwohl mein Name von allen Vorwürfen freigesprochen wurde. Aber ich glaube nicht, dass sich dadurch viel ändert. Ich habe die Kirche in Misskredit gebracht, ich habe die Weisungen des Bischofs missachtet, ich habe Spannungen mit Les Marauds verursacht. Ich will mich nicht rechtfertigen. Ich bin schuldig im Sinne der Anklage. Und trotzdem …
Während ich mich im Bauch des Walfischs befand, hatte ich jede Menge Zeit, um nachzudenken. Und mir ins Gedächtnis zu rufen, was wirklich zählt. Zu erkennen, wo ich sein möchte. Und mir ist klargeworden, dass Lansquenet für mich viel mehr ist als eine Pfarrgemeinde. Ich kann nicht weg von hier, selbst wenn der Bischof mich dazu auffordert. Wenn das bedeutet, dass ich die Kirche aufgeben muss – meinetwegen. Ich werde
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