Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
konnten.
Ich setzte mich auf meine Bank und schaute auf die Straße hinaus. Es war noch früh, kurz nach acht, und die Sonne brannte noch nicht so heiß. Die Vögel zwitscherten, der Himmel war klar, aber trotz allem fühlte ich mich beklommen. In den vielen Jahren, die ich als Priester in Lansquenet tätig war, hatte mich der Bischof nur vier Mal besucht. Und nie aus persönlichen Gründen. Vermutlich wollte er mir die Nachricht selbst überbringen.
Ich weiß, ich weiß. Es ist lächerlich. Aber ich bin Priester, père, und vor allem bin ich der Priester von Lansquenet. Ich kann es mir nicht vorstellen, von Lansquenet wegzugehen. Und das Priesteramt aufzugeben ist für mich genauso undenkbar. Beides hieße, mein halbes Herz zu verlieren. Das ist unmöglich.
Die Kirchturmuhr schlug die Viertelstunde. Der Bischof hatte sich für neun Uhr angekündigt. Sein Urteilsspruch war unabwendbar, genau wie meine Verurteilung. Ich wäre gern auf und ab gegangen, aber dafür war ich zu k.o. Deshalb blieb ich einfach sitzen und wartete mit wachsender Unruhe darauf, dass ich sein Auto kommen hörte.
Doch erst einmal sah ich Omi Al-Djerba langsam und bedächtig die Straße herauftrotten. Maya war bei ihr. Sie rannte immer wieder vor ihr her, in diesem komischen Watschelgang kleiner Kinder. Es ist ungewöhnlich, Leute aus Les Marauds auf dieser Seite der Brücke zu sehen, aber nach den Ereignissen der letzten Woche kommt es wieder öfter vor, hat man mir berichtet.
Maya erreichte mein Haus vor ihrer Großmutter und spähte mit ernster Miene über die Gartenmauer. »So, so! Bist du endlich aufgestanden!«, rief sie vorwurfsvoll.
»Ja, ich war leider sehr krank«, entgegnete ich.
»Ein Dschinn wird nicht krank«, verkündete Maya streng.
Offenbar hat ihr Glaube an meine übermenschlichen Kräfte nicht darunter gelitten, dass ich aus dem Keller befreit wurde. Selbst die Erkenntnis, dass ich ein Priester bin, scheint sie nicht zu erschüttern. Sie musterte mich mit ernstem Blick.
»Du’as memti ist gestorben.«
»Ja, Maya. Das tut mir sehr leid.«
Maya zuckte die Achseln. »Du kannst ja nichts dafür. Nicht mal du schaffst es, alles auf einmal in Ordnung zu bringen.«
Diese nüchterne Aussage brachte mich zum Lachen. Die Töne, die ich dabei von mir gab, klangen zwar sehr seltsam und nicht besonders glücklich, aber ich lachte. Immerhin. Omi Al-Djerba schien ganz erstaunt zu sein. Sie betrachtete mich mit leiser Skepsis, aber doch wohlwollend, über die Mauer hinweg.
»Ich muss schon sagen, Sie sehen sehr schlecht aus«, murmelte sie dann.
»Das freut mich zu hören«, brummte ich und stellte meine Kaffeetasse weg.
Sie verzog das Gesicht. Vermutlich zu einem Grinsen. Sie ist so alt, dass ihre Falten eine Art Eigenleben führen. Aber ihre Augen, die vom Alter hellblau geworden sind, blitzen immer noch verblüffend jugendlich. Vianne sagt, Omi erinnert sie an Armande, und heute verstehe ich zum ersten Mal, warum. Sie besitzt diese Respektlosigkeit, die man nur bei ganz alten und bei ganz jungen Menschen antrifft.
»Ich habe gehört, Sie gehen weg von hier«, sagte sie.
»Da haben Sie etwas Falsches gehört.«
Caro Clairmont, nehme ich an. Meistens kann man Klatsch und Tratsch bis zu ihrer Haustür zurückverfolgen – vor allem bei unerfreulichen Neuigkeiten. Meine spontane Reaktion überraschte mich selbst ein bisschen, doch Omi nickte zufrieden.
»Gut. Die Leute hier brauchen Sie.«
»Das hat mir noch keiner gesagt.«
Omi prustete spöttisch. »Manche Leute wissen nicht, was sie brauchen, bis sie es beinahe verloren haben. Das müssten Sie doch wissen, Monsieur le Curé! Hee! Ihr Männer. Ihr denkt immer, ihr seid so schlau. Aber damit ihr die Dinge erkennt, die sich direkt vor eurer Nase befinden, braucht’s eine Frau.« Sie lachte, wodurch ihr Zahnfleisch sichtbar wurde, das genauso rosarot war wie Mayas Gummistiefel. »Essen Sie das hier«, sagte sie und kramte eine Makrone aus ihrer Tasche. »Dann geht’s Ihnen besser.«
»Danke. Aber ich bin kein kleines Kind.«
Wieder gab sie dieses leicht verächtliche Schnauben von sich. »Meh. Sie sind jung genug, um mein Urenkel zu sein!« Und mit einem Schulterzucken steckte sie sich selbst die Makrone in den Mund.
»Ist nicht immer noch Ramadan?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin zu alt für den Ramadan. Und meine Maya ist noch zu klein.« Sie zwinkerte mir zu und gab Maya einen Keks. »Ihr Priester, ihr seid doch alle gleich. Ihr denkt, das Fasten hilft euch, an
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