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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Karren herhüpfen, um Papierschlangen, Blumen und Süßigkeiten einzusammeln.
    Paraaaaaaa!, macht die Trompete. Rosette lacht. Sie ist in ihrem Element. Hier kann sie herumrennen wie eine Verrückte, kann sich schwingen wie ein Affe, kann lachen wie ein Clown, und kein Mensch merkt es, keiner weist sie zurecht. Heute ist sie normal – was immer das heißt. Sie hat sich jetzt der Prozession hinter dem Wagen angeschlossen und jubelt vor Begeisterung.
    Das muss der fünfzehnte August sein!, fällt mir ein. Beinahe hätte ich vergessen, welches Datum wir heute haben. Ich halte mich eigentlich nicht an die kirchlichen Feiertage, aber nun sehe ich sie, die Mutter Gottes, aus Gips und mit einer goldenen Krone. Von vier Chorknaben wird sie unter einem Blumenbaldachin getragen. Die Jungen haben Chorhemden an und machen muffige Gesichter. Na ja, es ist bestimmt ganz schön heiß unter diesen Roben, und alle anderen haben viel mehr Spaß als sie. Einen Moment lang glaube ich einen der Ministranten zu erkennen – sein Gesicht erinnert mich an Jeannot Drou, Anouks Freund aus der Zeit von »La Céleste Praline« –, aber das kann ja nicht sein. Jeannot ist inzwischen siebzehn. Das Gesicht kommt mir trotzdem bekannt vor. Ein Verwandter, ein Cousin vielleicht oder sogar ein Bruder? Das Mädchen auf dem Wagen mit den Elfenflügeln könnte glatt Caroline Clairmont sein. Die Frau in dem blauen Sommerkleid drüben sieht aus wie Joséphine Muscat. Und handelt es sich bei dem Mann mit dem Hund, der so weit weg steht, dass ich sein Gesicht unter dem Hut unmöglich erkennen kann, etwa um meinen Freund Guillaume?
    Und dann die Gestalt in der schwarzen Robe, die ein Stück entfernt von den anderen steht und alles mit stummer Missbilligung verfolgt: Ist das etwa Francis Reynaud?
    Paraaaaa! Die Trompete ist schrill und unmelodisch, passend zu ihrem billigen roten Plastikmaterial. Die schwarze Gestalt scheint zusammenzuzucken, als Rosette vorbeihüpft, dicht gefolgt von Bam, der heute sehr sichtbar ist und ebenfalls jubelt und hüpft.
    Aber es war nicht Reynaud. Ich konnte das jetzt sehen, weil sich die Gestalt umdrehte und der Prozession hinterherschaute. Es war gar kein Mann, sondern eine Frau in einem niqab – der Figur nach zu urteilen, ziemlich jung, aber bis an die Fingerspitzen schwarz verschleiert. Sogar in dieser erbarmungslosen Hitze trug sie Handschuhe, und ihre Augen, die man als Einziges sehen konnte, waren schmal und dunkel und undurchdringlich.
    Habe ich sie schon einmal gesehen? Ich glaube nicht. Und trotzdem kam sie mir irgendwie bekannt vor, vielleicht wegen der Farben, die ihre schwarze, reglose Erscheinung umgaben, die Farben des Volksfestes: Blumen, Papierschlangen, Wimpel, Fahnen.
    Niemand redete mit ihr. Niemand starrte sie an. In Paris, wo die Leute so blasiert sind, dass fast nichts ihnen einen Kommentar entlocken kann, schaut man sich trotzdem nach einer Frau mit niqab um, aber hier, wo Tratsch die wichtigste Währung ist, erregt die Verschleierung kein Aufsehen.
    Aus Taktgefühl? Kann sein. Aus Angst? Die Menschenmenge weicht vor ihr zurück, gibt ihr eine Art Freiraum. Aber sie könnte auch ein Gespenst sein, das unsichtbar im allgemeinen Gewimmel steht, eingehüllt in den Geruch von Gebratenem und Zuckerwatte, umgeben vom Geschrei der Kinder, das wie Feuerwerk in den heißen blauen Himmel aufsteigt.
    Paraaaaaaa! Ach, du liebe Güte. Schon wieder diese Tröte! Ich schaute mich nach Anouk um, aber sie war verschwunden. Schon packte mich die Großstadtpanik, doch dann entdeckte ich sie in der Menge, sie unterhielt sich mit jemandem – mit einem Jungen in ihrem Alter. Vielleicht ein Freund. Hoffentlich. Anouk fällt es nicht leicht, Freundschaften zu schließen. Dabei ist sie nicht kontaktscheu, ganz im Gegenteil. Aber die anderen spüren ihr Anderssein und machen deshalb oft einen großen Bogen um sie. Außer Jean-Loup natürlich. Jean-Loup, der in seinem kurzen Leben schon so nah am Tod vorbeigeschrammt ist. Manchmal bin ich ganz verzweifelt wegen meiner kleinen Anouk, die schon so viele Abschiede, so viele Verluste aushalten musste – und dann sucht sie sich als besten Freund jemanden aus, der voraussichtlich nicht mal zwanzig wird.
    Nicht dass mich jemand falsch versteht – ich mag Jean-Loup. Aber meine kleine Anouk ist so sensibel, und das auf eine Art, die ich nur allzu gut verstehe. Sie fühlt sich für Dinge verantwortlich, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Vielleicht, weil sie das älteste Kind ist.

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