Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Aber vielleicht hat es auch etwas mit den Erlebnissen zu tun, die sich vor vier Jahren in Paris abgespielt haben, als der Wind uns fast für immer weggepustet hätte.
Ich suchte die Menge noch einmal nach bekannten Gesichtern ab. Diesmal erkannte ich Guillaume, acht Jahre älter, aber völlig unverändert, mit dem Hund, der damals, als Anouk und ich Lansquenet verlassen haben, ein Welpe war. Der Hund lief jetzt ganz brav neben ihm her, und ein paar Kinder folgten ihm, fütterten den Hund mit kleinen Leckerbissen und tuschelten aufgeregt miteinander.
»Guillaume!«
Er hörte mich nicht. Die Musik und das Gelächter waren zu laut. Doch der Mann neben mir drehte sich abrupt zu mir um, und ich sah ein Gesicht, das ich nur zu gut kannte, die Züge scharf und klar, die Augen grau, ein eisiges Grau. Ich bemerkte kurz seine Farben – das heißt, wenn diese Farben nicht gewesen wären, hätte ich ihn vielleicht gar nicht erkannt ohne seine Soutane. Aber man kann nicht verbergen, wer man ist, unter der Maske, die man trägt.
»Mademoiselle Rocher?«
Es war Francis Reynaud.
Er ist jetzt fünfundvierzig, hat sich aber kaum verändert. Derselbe schmale, misstrauisch verkniffene Mund. Die Haare streng zurückgekämmt, um zu verhindern, dass sie sich kräuseln. Die Schultern immer noch trotzig hochgezogen, wie ein Mann, der ein unsichtbares Kreuz trägt.
Ein bisschen zugenommen hat er allerdings, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Er wird bestimmt nie richtig dick, doch eine gewisse Wölbung im Taillenbereich weist unübersehbar darauf hin, dass er weniger asketisch lebt als früher. Das steht ihm gut – er ist groß genug, um ein bisschen Fülle zu verkraften. Was aber noch erstaunlicher ist: Um seine kühlen grauen Augen herum haben sich Linien gebildet, die fast wie Lachfältchen aussehen.
Er grinste – ein scheues, unsicheres Grinsen, dem man die mangelnde Übung ansieht. Und bei diesem Grinsen begriff ich, was Armande gemeint hat mit ihrem Satz, dass Lansquenet meine Hilfe brauche.
Natürlich konnte ich das alles nur in seinen Farben sehen. Die äußere Erscheinung war die eines Mannes, der alles im Griff hat. Aber ich kenne ihn besser als die meisten, und deshalb merkte ich, dass Reynaud unter seinem scheinbar gelassenen Äußeren sehr aufgewühlt war. Ein erstes Indiz: Sein Kragen saß schief. Bei einem Priester wird der Kragen hinten zugemacht – in diesem Fall mit einer kleinen Klammer. Reynauds Kragen war seitlich verrutscht, wodurch man die Klammer sehen konnte. Bei einem dermaßen pedantischen Menschen wie Reynaud ist so etwas kein Zufall.
Wie hatte sich Armande ausgedrückt?
Früher oder später braucht Lansquenet Dich wieder. Aber verlass Dich nicht auf unseren starrsinnigen curé.
Und dann waren da noch die Farben selbst, eine wirre Mischung aus Grün und Grau, durchwoben von Scharlachrot, was auf Unruhe und Schmerz hinweist. Und seine Augen: der ausdruckslose, leere Blick eines Mannes, der nicht weiß, wie man um Hilfe bittet. Kurz gesagt: Reynaud sah aus, als stünde er an einem Abgrund, und mir wurde augenblicklich klar, dass ich nicht wieder von hier weggehen konnte, bevor ich nicht herausgefunden hatte, was los war.
Und vergiss nicht, alles kehrt zurück.
Ich hörte Armandes Stimme ganz deutlich. Acht Jahre ist sie jetzt schon tot, und sie klingt immer noch so eigensinnig wie zu Lebzeiten, eigensinnig und weise und frech. Es ist sinnlos, gegen die Toten anzukämpfen, ihre Stimmen sind unnachgiebig.
Ich lächelte. Ich sagte: »Monsieur le Curé.« Und war bereit, dem Wind zu folgen.
7
Sonntag, 15. August
Mein Gott. Sie hat sich überhaupt nicht verändert. Lange schwarze Haare, lachende Augen, knallroter Rock und Sandalen. Eine angebissene Galette in der Hand, klimpernde Armbänder am Handgelenk, ihre Tochter im Schlepptau. Einen Moment lang schien es fast so, als hätte die Zeit stillgestanden, sogar das Kind war nicht älter geworden.
Natürlich war es nicht dasselbe Kind. Erstens hat dieses hier rote Haare, während das andere Mädchen ganz dunkel war. Und auf den zweiten Blick merkte ich auch, dass Vianne Rocher sich verändert hat: feine Fältchen um die Augen, der Blick sehr wachsam, als hätte sie in den letzten acht Jahren gelernt, den Menschen zu misstrauen. Oder vielleicht rechnete sie jetzt eher mit Problemen?
Ich versuchte zu lächeln, aber ich weiß ja, dass mein Charme zu wünschen übrig lässt. Ich besitze nicht die mühelos eleganten Umgangsformen von Père Henri
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