Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Wesen aus Pont-le-Saôul?« Dass die Ortschaften hier so dicht beieinanderliegen, fand sie schon immer lustig, und dass die Nachbardörfer doch unbedingt unabhängig voneinander sein wollen. Früher waren diese Dörfer bastides, Festungen, Bollwerke in einem Netz kleiner Herrschaftsgebiete, und selbst heute noch reagieren die Einwohner argwöhnisch auf Fremde.
Ich ging nicht auf ihre Frage ein, sondern wechselte das Thema. »Sie suchen sicher eine Übernachtungsmöglichkeit. In Agen gibt es ein paar gute Hotels. Oder Sie könnten nach Montauban fahren.«
»Wir haben kein Auto. Wir sind mit dem Taxi gekommen.«
»Ach so.«
Das Fest ging seinem Ende entgegen. Ich sah den letzten Wagen, ganz und gar mit Blumen bedeckt, die Hauptstraße entlangtaumeln, wie ein betrunkener Bischof in vollem Ornat.
»Ich dachte, wir könnten bei Joséphine wohnen«, sagte Vianne. »Vorausgesetzt, im Café ist ein Zimmer frei.«
Ich verzog das Gesicht. »Das wäre eine Möglichkeit.« Klar, mein Verhalten war nicht besonders höflich. Aber dass Vianne ausgerechnet in dieser heiklen Zeit hier auftauchen musste, bedeutete für mich unnötige zusätzliche Spannungen. Nebenbei bemerkt, hatte sie schon immer ein Händchen dafür, genau im falschen Moment zu erscheinen.
»Entschuldigen Sie, aber stimmt irgendetwas nicht?«
»Nein, alles bestens.« Ich versuchte, festlichen Frohsinn an den Tag zu legen. »Heute ist Mariä Himmelfahrt, und in einer halben Stunde beginnt die Messe …«
»Die Messe. Tja, dann komme ich doch einfach mit Ihnen.«
Ich starrte sie fassungslos an. »Sie gehen doch nie zur Messe.«
»Ich würde gern mal einen Blick in die Chocolaterie werfen. Um der alten Zeiten willen«, sagte sie.
Daran konnte ich sie nicht hindern. Also versuchte ich, mich dem Unvermeidlichen zu stellen. »Es ist kein Pralinenladen mehr.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte sie. »Was ist es jetzt, eine Bäckerei?«
»Nicht ganz.«
»Vielleicht zeigen mir die Leute dort alles.«
Nur mit Mühe schaffte ich es, keine Grimasse zu schneiden.
»Was ist?«
»Ich glaube, das ist keine gute Idee.«
»Warum nicht?« Sie musterte mich fragend. Das rothaarige kleine Mädchen kauerte zu ihren Füßen auf der staubigen Straße. Die Tröte hatte sich in eine Puppe verwandelt – die Kleine ließ sie hin und her spazieren und brabbelte dabei leise vor sich hin. Ich fragte mich, ob sie ganz normal ist. Andererseits finde ich alle Kinder irgendwie seltsam.
»Die Leute sind nicht sehr freundlich«, sagte ich.
Darüber musste sie wieder lachen. »Ich glaube, mit so was kann ich ganz gut umgehen.«
Ich spielte meinen letzten Trumpf aus. »Es sind Ausländer.«
»Bin ich auch«, entgegnete Vianne Rocher. »Bestimmt kommen wir hervorragend miteinander aus.«
Und so kam es, dass Vianne Rocher am Fest der Heiligen Jungfrau wieder in unser Dorf geweht wurde und ihre üblichen Geschenke mitbrachte: Chaos, Träume und Schokolade.
8
Sonntag, 15. August
Die Prozession war zu Ende, die Mutter Gottes in ihren Festgewändern kehrte zu ihrem Sockel in der Kirche zurück. Ihre Krone wurde wieder für ein Jahr weggesperrt, die Girlanden verwelkten schon. Der August ist sehr heiß in Lansquenet, und der Wind, der über die Hügel weht, trocknet den Boden aus. Als wir vier zur Kirche kamen, wurden die Schatten bereits länger, nur die Turmspitze von Saint-Jérôme schimmerte noch im Sonnenlicht. Die Glocken läuteten zur Messe, und die Leute kamen herbei: alte Frauen mit schwarzen Strohhüten (gelegentlich mit einem Band oder einem Büschel Kirschen verziert, um ein halbes Leben in Trauer ein wenig aufzulockern), alte Männer mit Baskenmützen, mit denen sie aussahen wie Schuljungen, die in den Unterricht schlurfen, die grauen Haare hastig mit Wasser von der Pumpe auf dem Dorfplatz zurückgestrichen, die Sonntagsschuhe mit gelblichem Staub bedeckt. Niemand beäugte mich im Vorbeigehen. Ich erkannte niemanden.
Reynaud ging voran und blickte ab und zu über die Schulter zu mir. Ich hatte das Gefühl, dass er irgendwie zögerte. Seine Bewegungen waren zwar so exakt wie immer, aber er schien sein Tempo zu verlangsamen, als wollte er gar nicht an der Kirche ankommen. Rosette hatte ihre ausgelassene Laune verloren, zusammen mit der Plastiktröte, die ihr irgendwo abhandengekommen war. Anouk schlenderte vor uns, den iPod-Kopfhörer in einem Ohr, verloren in ihrer eigenen Klangwelt. Ich hätte gern gewusst, was sie hörte.
Wir gingen um die Kirche herum und
Weitere Kostenlose Bücher